Entscheidungsstichwort (Thema)
Vollstreckung nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens und Erteilung der Restschuldbefreiung
Leitsatz (redaktionell)
- Vollstreckt ein Finanzamt nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens und nach Erteilung der Restschuldbefreiung Steuerforderungen, die mit einem Attribut versehen sind, auf der Grundlage des Auszugs aus der Insolvenztabelle, darf kein Widerspruch des Schuldners gegen die Forderung dem Grunde nach eingetragen sein oder ein solcher Widerspruch muss beseitigt worden sein (§ 201 Abs. 2 InsO).
- Beruft sich das Finanzamt auf die unterlassene Weiterverfolgung des Widerspruchs durch die Schuldnerin gemäß § 184 Abs. 2 InsO, muss diese besondere Form der Beseitigung des Widerspruchs entweder in entsprechender Anwendung des § 183 Abs. 2 InsO in die Tabelle eingetragen oder durch Feststellungsbescheid gemäß § 251 Abs. 3 AO festgestellt worden sein.
- Diese Grundsätze gelten auch dann, wenn ein irrtümlich nicht eingetragener Widerspruch der Schuldnerin erst nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens und nach Erteilung der Restschuldbefreiung im Wege der Berichtigung der Tabelle durch das Insolvenzgericht eingetragen worden ist.
- Das Finanzamt kann in einer solchen Situation die Vollstreckung nicht auf die ursprünglich ergangenen Steuerbescheide stützen. Die in den ursprünglichen Steuerbescheiden ausgewiesenen Steuerforderungen werden von der Restschuldbefreiung erfasst.
Normenkette
AO § 249 Abs. 1 S. 1, § 251 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 Sätze 1-2, Abs. 3, § 37 Abs. 2, § 370; FGO §§ 41, 56; InsO § 183 Abs. 2, § 184 Abs. 1 S. 1, Abs. 2, §§ 201, 201 Abs. 2, §§ 300-301, 301 Abs. 3, §§ 302, 302 Nr. 1, § 38
Tatbestand
Streitig ist, ob der Beklagte nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Klägerin die Vollstreckung wegen nicht befriedigter Steuerforderungen betreiben darf, obwohl die Klägerin Restschuldbefreiung erlangt hat.
Die Klägerin (geboren am xx. xx. xxxx) ist mit Urteil vom xx. xx. 2012 wegen Steuerhinterziehung (Einkommensteuer 2001 bis 2003, Gewerbesteuer 2001 bis 2003 und Umsatzsteuer 2001 bis 2003) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr rechtskräftig verurteilt worden.
Über das Vermögen der Klägerin wurde mit Beschluss des Amtsgerichts B vom xx. xx. 2016 das Insolvenzverfahren eröffnet (Aktenzeichen: xx xx xx/xx).
In dem Beschluss wurde angekündigt, dass der Klägerin Restschuldbefreiung gewährt werden könne, wenn sie den Obliegenheiten nach § 295 Insolvenzordnung (InsO) nachkomme und die Voraussetzungen für eine Versagung nach §§ 290, 297 bis 298 InsO nicht vorliegen würden.
Der Beklagte meldete mit Schreiben vom xx. xx. 2016 bei der Insolvenzverwalterin Steuerforderungen in Höhe von 184.xxx,xx € an. Er führte zu der beigefügten Rückstandsaufstellung aus, dass die laufenden Nummern 1 bis 40 tituliert und bestandskräftig seien. Rechtsbehelfe würden nicht vorliegen. Die laufenden Nummern 41 bis 64 seien Säumniszuschläge. Außerdem enthielt das Schreiben folgenden Hinweis:
„Bei den lfd. Nr. 1 bis 64 handelt es sich um Abgabenforderungen über welche das Steuerstrafverfahren am xx.xx.2006 eröffnet wurde. Das Verfahren wurde bisher nicht abgeschlossen. Eine rechtskräftige Verurteilung ist daher bisher nicht erfolgt. Ich bitte die Abgabenforderungen i.H.v. 184.xxx,xx € als von der Restschuldbefreiung ausgenommene Forderungen nach § 302 Nr. 1 i.V.m. § 174 Abs. 2 InsO zu berücksichtigen.“
Unter den angemeldeten Forderungen befanden sich auch Abgabenforderungen wegen Einkommensteuer 2001 bis 2003 und Umsatzsteuer 2001 bis 2003 sowie der dazu entstandenen Säumniszuschläge.
Mit Schreiben ihres anwaltlichen Vertreters vom 15. August 2016 widersprach die Klägerin den angemeldeten Forderungen. Der Widerspruch richtete sich gegen die Forderungen dem Grunde nach und gegen den behaupteten besonderen Rechtsgrund der rechtskräftigen Verurteilung wegen einer Steuerstraftat.
In dem Protokoll des Prüfungstermins vom xx. xx. 2016 wurde ausgeführt, dass die Forderungen des Beklagten als Forderungen aus einer Steuerstraftat gemäß §§ 370, 373 oder 374 Abgabenordnung (AO) angemeldet worden seien und dass die Schuldnerin Widerspruch erhoben habe.
Der Beklagte erhielt einen beglaubigten Auszug aus der Insolvenztabelle vom 24. August 2016, in dem folgendes ausgeführt war:
Angemeldeter Betrag EUR Grund der Forderung Ergebnis der Prüfungsverhandlungen
91.xxx,xx Steuern, „vorsätzlich Festgestellt für den Ausfall .
begangene unerlaubte Der Schuldner/Die Schuldnerin
Handlung aus Steuerstraftat erhebt Widerspruch gegen das
i.H.v. EUR 184.xxx,xx Privileg der Forderung aus
angezeigt.“ vorsätzlich begangener
unerlaubter Handlung.
93.xxx,xx Säumniszuschläge
184.xxx,xx
Kurz vor Abschluss des Insolvenzverfahrens erhielt der Beklagte einen aktualisierten Auszug aus der Insolvenztabelle vom 12. August 2020, in dem neben den schon bekannten Eintragungen die zusätzliche Bemerkung enthalten war, dass der Ausfall der angemeldeten Forderung 184.xxx,xx € betrage.
Mit Beschluss des Amtsgerichts B vom xx. xx. 2020 wurde das Insolvenz...