Gerhard Ring, Line Olsen-Ring
a) Umfang des Erbrechts
Rz. 20
Die Rechtsstellung des überlebenden Ehegatten beruht vor allem auf den gesetzlichen Regelungen des ADL über das gesetzliche Erbrecht, das Mindesterbe des Ehegatten, das Recht, den Nachlass ungeteilt zu übernehmen (uskifte) – womit weder eine güter-, noch eine erbrechtliche Auseinandersetzung stattfindet – sowie das testamentarische Erbrecht. Weiterhin hat der eheliche Güterstand maßgebliche Bedeutung für die vermögensrechtliche Stellung des überlebenden Ehegatten. Die Zuweisung eines gesetzlichen Erbrechts an den überlebenden Ehegatten findet nämlich erst nach einer güterrechtlichen Auseinandersetzung statt, die den Umfang der Erbmasse bestimmt. Aus Vorbehaltsgut des Erblassers erhält der überlebende Ehegatte allein seinen Erbanteil. Aus jenem Gemeinschaftsgut der Ehegatten, das bei Auflösung der Ehe einer hälftigen Teilung unterliegt, erhält er im Rahmen der der Nachlassauseinandersetzung vorausgehenden güterrechtlichen Teilung diese Hälfte. Güterrechtlich entsteht in der Praxis oftmals eine Situation, die der deutschen Zugewinngemeinschaft nicht unähnlich ist.
Ehegatten gleichgestellt sind registrierte Lebenspartner, die ihre Partnerschaft noch nicht in eine Ehe haben umwandeln lassen.
Rz. 21
§§ 8 und 9 ADL regeln den Umfang des gesetzlichen Erbrechts eines Ehegatten in Abgrenzung zu anderen Erben. Danach hat der überlebende Ehegatte neben gesetzlichen Erben der ersten Ordnung Anspruch auf ein Viertel (§ 8 ADL) und neben gesetzlichen Erben der zweiten Ordnung Anspruch auf die Hälfte des Nachlasses (§ 9 ADL). Sind nur entferntere Verwandte vorhanden, wird der überlebende Ehegatte Alleinerbe.
b) Mindesterbe des Ehegatten
Rz. 22
Nach § 8 ADL hat der überlebende Ehegatte in jedem Fall einen Anspruch auf einen Pflichtteil (Mindesterbanspruch, minstearv). Dieses Recht des Ehegatten ist 1990 eingeführt worden. Von diesem Mindesterbanspruch, dem der Charakter einer sozialen Mindestabsicherung zukommt, kann auch testamentarisch nicht abgewichen werden. Der Mindesterbanspruch beläuft sich, wenn der Erblasser Abkömmlinge hinterlässt, auf den vierfachen Grundbetrag der Volksversicherung. Der Grundbetrag beträgt seit dem 1.5.2023 118.620 NOK (umgerechnet knapp 10.500 EUR). Er wird jährlich angepasst. Im Erbfall ist somit jeweils der aktuelle Satz zu ermitteln. Hinterlässt der Erblasser keine Abkömmlinge, erhöht sich der Mindesterbanspruch auf den sechsfachen Grundbetrag.
Rz. 23
Der Mindesterbanspruch des Ehegatten in Höhe des vierfachen oder sechsfachen Grundbetrages geht dem Pflichtteilsrecht der Abkömmlinge des Erblassers vor mit der Folge, dass bei einem Nachlass bis zur Höhe des vierfachen Grundbetrages die Erben erster Ordnung leer ausgehen.
Das Erbrecht des Ehegatten nach den §§ 8 und 9 ADL entfällt, wenn einer der Ehegatten vor dem Todeszeitpunkt des Erblassers einen Antrag auf Trennung (separasjonsbegjæring) gestellt bzw. Scheidungsklage vor Gericht eingereicht hat (§ 11 ADL).
c) Recht auf fortgesetzte Gütergemeinschaft (uskifte)
Rz. 24
Lebte der Erblasser im gesetzlichen Güterstand der allgemeinen Gütergemeinschaft nach Maßgabe des norwegischen Rechts, kann der überlebende Ehegatte nach § 14 Abs. 1 ADL durch Anzeige gegenüber den anderen gesetzlichen Erben des Erblassers das eheliche Gemeinschaftsgut (felleseiga) ungeteilt übernehmen (uskifte, Recht auf fortgesetzte Gütergemeinschaft). Eine solche Erklärung muss nach § 19 i.V.m. § 96 ADL innerhalb von 60 Tagen nach dem Todesfall gegenüber dem Nachlassgericht (tingrett) erklärt werden.
Rz. 25
In der Praxis ist dieses Recht des überlebenden Ehegatten auf ungeteilte Übernahme des ehelichen Gesamtgutes für diesen weitaus wichtiger als das allgemeine Erbrecht und als der Mindesterbanspruch. So wurde in Norwegen im Jahre 2010 in mehr als 12.000 Fällen das eheliche Gesamtgut ungeteilt übernommen. Dem standen 450 Fällen gegenüber, in denen der überlebende Ehegatte Alleinerbe aufgrund seines Mindesterbanspruchs wurde, und knapp 1000 Fälle, in denen der Nachlass mit den Erben des Verstorbenen geteilt wurde.
Rz. 26
Grundvoraussetzung eines Rechts auf uskifte ist nach § 14 Abs. 5 i.V.m. § 11 ADL, dass eine rechtsgültige Ehe besteht und kein Antrag auf Trennung gestellt bzw. eine gerichtliche Scheidungsklage eingereicht worden ist.
Rz. 27
Ein Recht auf uskifte besteht in gewissen Konstellationen auch im Hinblick auf Vorbehaltsgut (særeie), nämlich dann, wenn dieses durch einen Ehevertrag (ektepakt) nach Maßgabe von § 43 des Ehegesetzes vereinbart worden ist, bzw. wenn die Erben hierzu ihre Zustimmung erteilt haben. Dasselbe gilt für eine Vermögensmasse, die durch eine Auflage des Schenkers bzw. des Testators zu Vorbehaltsgut erklärt worden ist, falls der Schenker bzw. der Testator eine entsprechende Bestimmung getroffen hat. Macht der überlebende Ehegatte von diesem Recht Gebrauch, fließt auch sein eigenes Vorbehaltsgut in das Vermögen der uskifte mit ein, falls nichts a...