Gerhard Ring, Line Olsen-Ring
Rz. 1
Zum 1.1.2021 ist in Norwegen ein neues Gesetz über das Erbrecht und die Nachlassauseinandersetzung (lov om arv og dødsboskifte [arveloven] Nr. 21 vom 14.6.2019) (im Folgenden ADL) in Kraft getreten. Mit dem ADL ist das norwegische Erbgesetz vom 3.3.1972 (lov om arv) und das Erbauseinandersetzungsgesetz (lov om skifte) vom 21.2.1930 abgelöst worden. Das Erbgesetz aus dem Jahre 1972 hatte seinerseits eine Vorläuferregelung im Erbgesetz vom 31.7.1854.
Rz. 2
Seit Beginn der 70er Jahre des vergangenen Jahrhunderts hat sich auch in der norwegischen Gesellschaft eine Vielzahl gesellschaftlicher Änderungen vollzogen. Stichworte sind die Anerkennung der nichtehelichen Lebensgemeinschaft als übliche und allgemein akzeptierte Form des Zusammenlebens, ein Anstieg des Lebensalters, ein Absinken der Geburtenrate, ein Anstieg des Wohlstands und ein Ausbau des Wohlfahrtsstaats. Die norwegische Bevölkerung ist aufgrund verstärkter Einwanderung zudem weniger homogen als vor einigen Jahrzehnten. Diese Entwicklungen haben mit dazu beigetragen, dass das Parlament im Jahre 2011 ein Expertengremium damit beauftragte, eine Begutachtung und Bewertung des Erbgesetzes 1972 vorzunehmen. Im Februar 2014 übergab das Gremium dem Justizministerium (Justis- og beredskapsdepartementet) seinen Vorschlag für ein neues Erbgesetz. Der Gesetzesvorschlag zielte auf eine zeitgemäße Ausgestaltung des Erbrechts. Zudem sollte internationalen Entwicklungen im Erbrecht Rechnung getragen werden. Der Gesetzentwurf schlug eine Reihe von zum Teil grundlegenden Änderungen vor.
Daneben war bereits schon im Jahre 2005 ein Expertengremium berufen worden, das 2007 seine Vorschläge für eine Modernisierung des fast achtzig Jahre alten Nachlassauseinandersetzungsgesetzes vorgelegt hatte.
Rz. 3
2018 legte das Justizministerium den Entwurf eines neuen gemeinsamen Erb- und Nachlassauseinandersetzungsgesetzes vor. Dieser Vorschlag enthielt weit weniger Änderungen zum materiellen Erbrecht, als dies vom Expertengremium ursprünglich vorgeschlagen worden war. Das gemeinsame Gesetz zum Erbrecht und zur Nachlassauseinandersetzung (ADL) wurde mit einigen Modifizierungen vom Parlament im Jahre 2019 verabschiedet und gilt seit dem 1.1.2021.
Das ADL hat inhaltlich keine grundlegende Neuregelung des materiellen Erbrechts mit sich gebracht. Die Regelungen des ADL folgen in weitem Umfang dem alten Erbgesetz aus dem Jahre 1972. Das Erbgesetz 1972 folgte seinerseits in Grundzügen dem Erbgesetz aus dem Jahre 1854 – so wie dieses im Rahmen einer im Jahre 1937 erfolgten Erbrechtsreform ausgestaltet worden war.
Die bisherigen Grundsätze des alten Nachlassauseinandersetzungsgesetzes aus dem Jahre 1930 sind im ADL gleichermaßen fortgeführt worden.
Das ADL bezweckt jedoch eine anwendungsfreundlichere Gesamtregelung, die in ihrer Struktur übersichtlich und auch für Nichtjuristen, einschließlich jener Betroffener, die eine private Nachlassauseinandersetzung betreiben wollen, gut handhabbar sein soll.
Beachte: Da das ADL in erheblichem Umfang auf Grundzügen des alten Recht aufbaut, kann ältere Rechtsprechung und Literatur auch heute noch weiter von Bedeutung sein.