Gerhard Ring, Line Olsen-Ring
I. Allgemeines
Rz. 4
Das norwegische Internationale Privatrecht und das Internationale Zivilverfahrensrecht haben bislang keine allgemeine Kodifizierung erfahren. Bis zum Erlass des ADL kannte auch das norwegische internationale Erbrecht nur wenige gesetzliche Regelungen. Die Prinzipien einer Rechtswahl und die Rechtswahlregeln sind überwiegend gewohnheitsrechtlicher Natur und als solche auch von der Rechtsprechung angewandt worden. In einigen Fällen ergeben sich international-privatrechtliche Regelungen aufgrund internationaler Abkommen. Ansonsten regelt nunmehr das ADL in seinem elften Kapitel (§§ 78 bis 82) das "Internationale Erbrecht" und im zwölften Kapitel in § 85 ADL die Rechtswahl bei einer Nachlassauseinandersetzung. Dabei handelt sich es allerdings weitgehend um eine Kodifizierung von bereits bisher gewohnheitsrechtlich geltenden zentralen Rechtsgrundsätzen. Der Gesetzgeber hat sich bei der Kodifikation im Übrigen auch an der EuErbVO orientiert. Norwegischer Gesetzgebungstradition folgend ist im ADL aber im Vergleich zur EuErbVO eine sowohl inhaltlich als auch sprachlich vereinfachte Fassung der einschlägigen Regelungen erfolgt.
II. Nordische Nachlasskonvention
Rz. 5
Im Verhältnis zu Schweden, Finnland, Island und Dänemark gilt die Nordische Nachlasskonvention über gesetzliches Erbrecht, Testamente und Nachlassauseinandersetzung (Nordisk Dødsbokonvention) vom 19.11.1934. Diese trifft einige Spezialvorschriften über die gegenseitige Anerkennung von Erbvorschriften bei der Abwicklung des Nachlasses, wenn der Nachlass von einem Angehörigen eines Mitgliedstaates stammt, der in einem anderen Mitgliedstaat verstorben ist. Nach Art. 2 Abs. 1 der Konvention bestimmt sich das gesetzliche Erbrecht des Erblassers vorbehaltlich einer durch diesen getroffenen Rechtswahl grundsätzlich nach dem Domizilprinzip: Es gelangt das Erbrecht des Staates zur Anwendung, in dem der Verstorbene seinen letzten Wohnsitz hatte.
Rz. 6
Folgt ausnahmsweise aus den konkreten Umständen des Falles, dass der Verstorbene im Zeitpunkt seines Todes eine eindeutig engere Verbindung zu einem anderen Konventionsstaat hatte, gelangt allerdings das Recht dieses Staates zur Anwendung (Art. 2 Abs. 2 der Nachlasskonvention).
Rz. 7
Am 1.6.2012 unterzeichneten die nordischen Staaten – in Annahme eines grundsätzlichen Modernisierungsinteresses und der Notwendigkeit einer Anpassung und Angleichung der Nordischen Nachlasskonvention an die EuErbVO – ein Übereinkommen über deren Änderung. Die Änderung der Nordischen Nachlasskonvention wurde als notwendig erachtet, um es Schweden und Finnland als Vertragsstaaten der EuErbVO auch weiterhin zu ermöglichen, die Nordische Konvention bei internordischen Sachverhalten zur Anwendung gelangen zu lassen. In der Neufassung der Nordischen Nachlasskonvention sind vor allem die Bestimmungen über die Rechtswahl an jene der EuErbVO angepasst worden. Die EuErbVO erlaubt nach Maßgabe ihres Art. 75 Abs. 3 die Anwendung der modernisierten Nordischen Nachlasskonvention in Bezug auf die verfahrensrechtlichen Aspekte der Nachlassverwaltung sowie auf die vereinfachten und beschleunigten Verfahren für die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Erbsachen. Die Neufassung ist in Norwegen am 1.9.2015 in Kraft getreten. Für Norwegen als Nicht-EU-Mitgliedstaat findet die EuErbVO keine Anwendung. Art. 20 EuErbVO erklärt allerdings die Verordnung zu loi uniforme.
Rz. 8
Die Nordische Nachlasskonvention enthält kollisionsrechtliche Sonderregelungen in Bezug auf Testamente (Art. 8 bis 11), Erbverträge, den Erbverzicht und Schenkungen auf den Todesfall (Art. 12), gewisse Fragen bezüglich Grundstücke mit Zubehör (Art. 13), erbrechtliche Folgen einer Adoption (Art. 14), die Verjährung eines Erbrechts (Art. 16), Schulden des Erblassers (Art. 17 und 18) und die fortgesetzte Gütergemeinschaft (des überlebenden Ehegatten, Art. 19).
III. Haager Testamentsformübereinkommen
Rz. 9
Das auf die Formwirksamkeit eines Testaments anwendbare Recht ergibt sich auch in Norwegen aus dem Haager Testamentsformübereinkommen. Dieses Übereinkommen vom 5.10.1961 trat in Norwegen am 1.1.1973 in Kraft.
Rz. 10
Die in Art. 1 Buchst. a–e niedergelegten Regelungen des Übereinkommens entsprechen denen in § 80 ADL. § 80 ADL, der den Widerruf einer testamentarischen Verfügung regelt, ist außerdem Ausführungsbestimmung zu Art. 2 des Übereinkommens.
IV. Internationales norwegisches Privat- und Zivilverfahrensrecht
Rz. 11
Das norwegische Recht behandelt den Nachlass in internationalen Erbangelegenheiten grundsätzlich als eine Einheit: ein Erblasser, ein Nachlass, eine Teilung.
1. Heimatrecht des Erblassers
Rz. 12
Die Erbfolge war – wie dargelegt – in Norwegen gewohnheitsrechtlich dem "Heimatrecht" (hjemlandslov) des Erblassers unterstellt. Das Heimatrecht knüpfte aber nicht an die Staatsangehörigkeit, sondern an den festen Wohnsitz (Domizil) des Erblassers an. Der Wohnsitz befindet sich in dem Land, in dem der Erblasser sich niedergelassen und seinen Lebensmittelpunkt begründet hat. Dies ist regelmäßig dann gegeben, wenn er ...