Gerhard Ring, Line Olsen-Ring
1. Berechnung des Pflichtteils
Rz. 57
Im Vorfeld der Pflichtteilsberechnung ist eine Bewertung des Vermögens des Erblassers vorzunehmen. Dabei ist der Wert zugrunde zu legen, der bei einem Verkauf auf dem freien Markt erzielt werden kann. Von diesem Bruttovermögen sind eventuelle Verbindlichkeiten abzuziehen. Vom dann verbleibenden Nettovermögen wird der Pflichtteil berechnet.
2. Pflichtteil der Abkömmlinge
Rz. 58
Neben dem überlebenden Ehegatten (dazu siehe oben Rdn 22) sind die Abkömmlinge des Erblassers pflichtteilsberechtigt. Die Regelungen zu deren Pflichtteilsrecht finden sich im dritten Abschnitt (§§ 50–56) ADL.
Rz. 59
Der Pflichtteil der Abkömmlinge beläuft sich gemäß § 50 ADL auf zwei Drittel des tatsächlich hinterlassenen Nachlasses (Nettovermögen des Erblassers). Eine Anrechnung lebzeitiger Schenkungen erfolgt nicht. Die Abkömmlinge sind nicht dagegen geschützt, dass der Erblasser zu Lebzeiten sein Vermögen mindert. Der Erblasser kann auch noch auf dem Totenbett alles verschenken.
Rz. 60
Die Höhe des Pflichtteils war lange Zeit für jedes Kind auf 1 Mio. NOK begrenzt. Das ADL hat diesen Betrag auf das fünfzehnfache des Grundbetrags der norwegischen Sozialversicherung, zurzeit knapp 1,8 Mio. NOK (umgerechnet etwa 157.000 EUR), festgelegt.
3. Einwirkungen des Erblassers auf den Pflichtteil
Rz. 61
Testamentarische Verfügungen, die den Pflichtteil beschränken, sind unwirksam. Der Erblasser kann deshalb vorbehaltlich anderweitiger gesetzlicher Regelungen oder der Zustimmung der Pflichtteilsberechtigten keine Eingriffe in Pflichtteilsrechte vornehmen. Die Abkömmlinge können auch schon zu Lebzeiten des Erblassers erklären, dass sie das Testament des Erblassers trotz für sie negativer Einwirkungen auf den Pflichtteil akzeptieren. Ebenso kann eine derartige Verfügung, die gegen das ADL verstößt, aufgrund von Passivität der Erben Wirksamkeit erlangen.
4. Gesetzlich geregelte Einwirkungsmöglichkeiten
a) Pflichtteil an bestimmten Vermögenswerten
Rz. 62
Gemäß § 51 ADL kann der Erblasser in einem Testament bestimmen, welche Vermögenswerte der Pflichtteil umfassen soll. So kann er z.B. anordnen, dass ein Abkömmling seinen Pflichtteil in Barmitteln erhalten soll. Weiterhin kann er (allerdings unter Wahrung von Vorausrechten eines Ehegatten bzw. eines nichtehelichen Lebensgefährten oder Mitbewohners an bestimmte Aktiva nach Maßgabe der §§ 113 und 114 ADL oder § 2 des Gesetzes über die Beendigung einer Haushaltsgemeinschaft) festlegen, dass der Abkömmling einen bestimmten Vermögensgegenstand erhalten soll, selbst wenn dieser mehr wert ist als der Erbanteil des Abkömmlings. Dies setzt jedoch voraus, dass der Abkömmling den Differenzbetrag an den Nachlass zurückerstattet.
b) Pflichtteil unterliegt der Gütertrennung
Rz. 63
Der Erblasser kann gemäß § 52 i.V.m. §§ 42 und 43 ADL in seinem Testament z.B. bestimmen, dass der Pflichtteil, den der Berechtigte erhalten soll, einer Gütertrennung unterworfen werden soll, indem er den Pflichtteil zu Vorbehaltsgut (særeie) erklärt. Diese Bestimmung kann der Erblasser sowohl in Bezug auf eine bestehende als auch im Hinblick auf eine künftige Ehe des Abkömmlings treffen, soweit dieser bei der Errichtung des Testaments noch unverheiratet ist. Die Bestimmung braucht nicht sämtliche Pflichtteilsberechtigte zu betreffen, sondern kann auch nur auf einen Abkömmling bezogen sein. Ebenso kann die Anordnung nur einen Teil des Pflichtteils betreffen.
c) Verfügungsbeschränkung für den Pflichtteilsberechtigten
Rz. 64
Der Erblasser kann testamentarisch – soweit dies im besten Interesse des Abkömmlings ist – Beschränkungen in Bezug auf die Verfügungsmöglichkeiten über den Pflichtteil festlegen. Dies ist soweit möglich, bis der Abkömmling das 25. Lebensjahr vollendet hat (§ 53 ADL). Nach Maßgabe von § 54 ADL kann der Erblasser testamentarisch auch bestimmen, wie der Pflichtteil des Abkömmlings verteilt werden soll, falls der Abkömmling vor Vollendung des 18. Lebensjahres verstirbt.
d) Entziehung des Pflichtteils
Rz. 65
Das Recht, einem Pflichtteilsberechtigten dessen Pflichtteil ganz zu entziehen, ist in § 55 ADL geregelt. Danach kann der Erblasser testamentarisch bestimmen, dass ein Berechtigter seinen Pflichtteil nicht erhalten soll, wenn er sich gegenüber einem bestimmten Personenkreis wegen eines Verbrechens strafbar gemacht hat. Dieser Personenkreis umfasst neben dem Erblasser auch dessen Verwandte in gerader auf- oder absteigender Linie sowie dessen Geschwister oder deren Abkömmlinge. Ein entsprechendes Testament bedarf jedoch zur Wirksamkeit einer Bestätigung durch das norwegische Justizministerium.