OWi-Verfahren, Anwendung der StPO [Rdn 2869]
Das Wichtigste in Kürze:
1. |
Für das (straßenverkehrsrechtliche) Bußgeldverfahren gelten über § 46 Abs. 1 grds. auch die Vorschriften der StPO, die das OWiG ergänzen. |
2. |
Die Anwendung der jeweiligen Vorschriften aus der StPO haben sich am Sinn und Zweck und dem Wesen des Ordnungswidrigkeitenrechts auszurichten. |
3. |
Freiheitsbeschränkende Maßnahmen finden grds. keine Anwendung. |
Rdn 2870
Literaturhinweis:
Bleckat, Gerichtliche Zuständigkeit für Anträge gem. § 101 StPO bei gerichtlichen Verkehrsordnungswidrigkeiten, NZV 2023, 206
Brüssow, Beweisverwertungsverbot in Verkehrsstrafverfahren, StraFo 1998, 294
C. Gatzweiler, Die neuen EU-Richtlinien zur Stärkung der Verfahrensrechte (Mindestmaß) des Beschuldigten oder Angeklagten in Strafsachen, StraFo 2011, 293
Kotz, Dolmetsch- und Übersetzungsleistungen zur Überwindung von Sprachbarrieren im Strafverfahren, StRR 2012, 124
Lamsfuß, Die Statthaftigkeit des Besetzungseinwandes im Bußgeldverfahren, StraFo 2021, 459
Ternig/Lellmann, Die rechtliche Zulässigkeit der Sicherstellung bzw. des Auslesens von Mobiltelefon zwecks Beweisführung bei Verkehrsordnungswidrigkeiten, NZV 2016, 454
s. auch die Hinweise bei Burhoff, EV, Rn 1559.
Rdn 2871
1. Für das (straßenverkehrsrechtliche) Bußgeldverfahren gelten über § 46 Abs. 1 grds. (auch) die Vorschriften der StPO, die das OWiG ergänzen. § 46 Abs. 1 spricht aber von einer sinngemäßen Anwendung. Das bedeutet, dass die Anwendung der jeweiligen Vorschriften aus der StPO am Sinn und Zweck und dem Wesen des Ordnungswidrigkeitenrechts auszurichten ist (KK/Lampe, § 46 Rn 1; auch Burhoff, EV, Rn 1563 ff.).
☆ Grds. bestimmt sich der Umfang der Anwendbarkeit von Vorschriften nach dem unterschiedlichen Gewicht des Straf- und Bußgeldanspruchs und den unterschiedlich schwerwiegenden Folgen der Verfahren. Als Faustregel kann man darauf abstellen, dass einerseits belastende Maßnahmen, die im Strafverfahren i.d.R. erlaubt sind, im Bußgeldverfahren ggf. nicht oder nur bei Vorliegen besonderer Umstände erlaubt sein können, und andererseits Vorschriften, die dem besonderen Schutz des Angeklagten im Strafverfahren dienen, weniger streng auszulegen und zu handhaben sind (Göhler/ Seitz/Bauer , § 46 Rn 10; Burhoff , EV, Rn 1563).Faustregel kann man darauf abstellen, dass einerseits belastende Maßnahmen, die im Strafverfahren i.d.R. erlaubt sind, im Bußgeldverfahren ggf. nicht oder nur bei Vorliegen besonderer Umstände erlaubt sein können, und andererseits Vorschriften, die dem besonderen Schutz des Angeklagten im Strafverfahren dienen, weniger streng auszulegen und zu handhaben sind (Göhler/Seitz/Bauer, § 46 Rn 10; Burhoff, EV, Rn 1563).
Rdn 2872
2. Keine Anwendung im Bußgeldverfahren finden u.a. (i.Ü. Göhler/Seitz/Bauer, § 46 Rn 8) die Vorschriften über:
▪ |
die Auskunft über Telekommunikationsverbindungsdaten/Erhebung von Verkehrsdaten (§§ 100g, 100i StPO; dazu Burhoff, EV, Rn 655 ff.), |
▪ |
die DNA-Untersuchung (s. ausdrücklich § 46 Abs. 4 S. 3), woraus folgt, dass auch eine molekulargenetische Untersuchung i.S.d. § 81e StPO unzulässig ist (vgl. LG Osnabrück StraFo 2007, 382 = NZV 2007, 536 = VRR 2007, 397), |
▪ |
den Einsatz technischer Mittel nach § 100c StPO (dazu Burhoff, EV, Rn 3051 ff.), |
▪ |
die Leichenschau (§§ 87–91 StPO; dazu Burhoff, EV, Rn 3036), |
▪ |
die polizeiliche Beobachtung (§ 163e StPO; dazu Burhoff, EV, Rn 3684 ff.), |
▪ |
die Rasterfahndung (§§ 98a, 98b; dazu Burhoff, EV, Rn 3925 ff.), |
▪ |
die Telefonüberwachung/Online-Durchsuchung u.a. (§§ 100a ff. StPO; dazu Burhoff, EV, Rn 4250 ff., 3261 ff.), |
▪ |
den Verdeckten Ermittler (§§ 110a bis 110e StPO; dazu Burhoff, EV, Rn 4581 ff., m.w.N.), |
▪ |
die Vorschriften über den Besetzungseinwand in den §§ 222a, 222b (Lamsfuß StraFo 2021, 459). |
Rdn 2873
3. Darüber hinaus gilt für das Bußgeldverfahren (wegen der Einzelh. Göhler/Seitz/Bauer, § 46 Rn 10b ff. m.w.N.; KK/Lampe, § 46 Rn 19 ff.; Burhoff, EV, Rn 1564 ff.):
Rdn 2874
a) Nicht angewendet werden nach § 46 Abs. 3 S. 2 die Vorschriften über die Beteiligung des Verletzten am Verfahren, also u.a. die Vorschriften über die Nebenklage (dazu Burhoff, EV, Rn 3161) und den Verletztenbeistand (Burhoff, EV, Rn 4685) mit Ausnahme von § 406e StPO.
Rdn 2875
b) Für Beweisverwertungsverbote gelten die Ausführungen bei → Beweisverwertungsverbote, Allgemeines, Rdn 542; → Beweisverwertungsverbote im OWi-Verfahren, Rdn 592 (auch noch Göhler/Seitz/Bauer, § 46 Rn 10c; zu Maßnahmen nach § 100h StPO Rdn 2881).
Rdn 2876
c)aa) Das Bußgeldverfahren wird in deutscher Sprache geführt (§ 184 GVG). Die für den Betroffenen bestimmten Schriftstücke, wie z.B. ein Anhörungsbogen, brauchen, wenn der Betroffene der deutschen Sprache nicht mächtig ist, grds. nicht in seine Sprache übersetzt zu werden (Göhler/Seitz/Bauer, vor § 59 Rn 56 m.w.N.; wie z.B. BVerfG NJW 1983, 2762). Mangelnde Sprachkenntnisse dürfen aber nicht zu einer Verkürzung der verfassungsrechtlichen Rechtsschutzgarantien führen (OLG München VRR 2014, 105 = StRR 2014, 186). Die Erklärungen des Bet...