Obergutachter
Rdn 2437
Das Wichtigste in Kürze:
1. |
Nicht ausreichende Sachkunde des SV wird i.d.R. für den Verteidiger Anlass sein, sich Gedanken über einen Antrag auf Ladung/Beauftragung eines weiteren SV zu machen. |
2. |
Bei dem Antrag des Verteidigers auf Einholung eines weiteren SV-Gutachtens handelt es sich um einen Beweisantrag auf Vernehmung eines weiteren SV. |
3. |
Der Beweisantrag auf Zuziehung eines weiteren SV muss vom Verteidiger sorgfältig begründet werden. |
Rdn 2438
Literaturhinweise:
Rueber-Unkelbach, Ablehnung von Sachverständigen und Dolmetschern in der Praxis, in: Festschrift zum 70. Geburtstag von Detlef Burhoff, 2020, S. 95
s.a. die Hinw. bei → Sachverständigenbeweis, Teil S Rdn 2965.
Rdn 2439
1.a) Nicht ausreichende Sachkunde reicht zur → Ablehnung eines Sachverständigen, Teil A Rdn 15, nicht aus, da die mangelnde Sachkunde den SV nicht "befangen" macht (Rueber-Unkelbach, a.a.O., S. 95). Fehlende Sachkunde wird aber i.d.R. für den Verteidiger Anlass sein, sich Gedanken über einen Antrag auf Ladung/Beauftragung eines weiteren SV zu machen (zusammenfassend KK/Krehl, § 244 Rn 58 ff. m. zahlr. weit. Nachw.). In der Praxis wird dieser SV i.d.R. Obergutachter genannt, obwohl er die einem "Obergutachter" sonst zukommende Schiedsrichterfunktion, eine Frage abschließend zu entscheiden, nicht hat. Vielmehr ist das "Obergutachten" (nur) ein weiteres Gutachten, das zu einem bereits ergangenen Gutachten Stellung nimmt. Dieses Gutachten und das Obergutachten sind gleichwertig (Krekeler StraFo 1996, 8; zur Verletzung des Grundsatzes des "fair-trial" bei Beauftragung eines weiteren neuen SV durch das [Berufungs-]Gericht und dessen alleinige Ladung zur HV OLG Hamm NStZ 1996, 455).
Rdn 2440
b) Ggf. kann aber auch schon die → Aufklärungspflicht des Gerichts, Teil A Rdn 432, dieses zwingen, von sich aus ein weiteres Gutachten einzuholen. Das kann z.B. bei widersprüchlichen Gutachten der Fall sein (BGH NStZ-RR 1997, 42). Es muss aber nicht in jedem Fall, in dem das Gericht von dem Gutachten des in der HV gehörten SV abweichen will, ein weiterer SV hinzugezogen werden. Voraussetzung für das Absehen von der Hinzuziehung eines weiteren SV ist aber, dass das Gericht die für die abweichende Beurteilung des vorliegenden SV-Gutachtens erforderliche Sachkunde besitzt, selbst wenn es erst durch das Gutachten genügend sachkundig geworden ist, um die Beweisfrage beurteilen zu können (BGHSt 55, 5; BGH NStZ 2006, 511 m.w.N.; 2010, 51; 2010, 586, jew. auch zu den Urteilsanforderungen; zur Sachkunde und zum "Erwerb" der Sachkunde → Sachverständigenbeweis, Teil S Rdn 2965).
☆ Außerdem muss das Gericht die Ausführungen des SV in nachprüfbarer Weise im Urteil wiedergeben , sich mit ihnen auseinandersetzen und seine abweichende Meinung begründen (u.a. die vorstehend zit. BGH-Rspr.). Wenn ein Beweisantrag auf Einholung eines weiteren SV-Gutachtens, der sich auf substantiiert dargelegte methodische Mängel des (vorbereitenden) Erstgutachtens stützt, allein mit der Begründung zurückgewiesen werden soll, das Gericht verfüge selbst über die erforderliche Sachkunde, darf es sich in den Urteilsgründen hierzu nicht dadurch in Widerspruch setzen, dass es seiner Entscheidung das Erstgutachten ohne Erörterung der geltend gemachten Mängel zugrunde legt (BGHSt 55, 5 m. Anm. Eisenberg JZ 2010, 474).Ausführungen des SV in nachprüfbarer Weise im Urteil wiedergeben, sich mit ihnen auseinandersetzen und seine abweichende Meinung begründen (u.a. die vorstehend zit. BGH-Rspr.). Wenn ein Beweisantrag auf Einholung eines weiteren SV-Gutachtens, der sich auf substantiiert dargelegte methodische Mängel des (vorbereitenden) Erstgutachtens stützt, allein mit der Begründung zurückgewiesen werden soll, das Gericht verfüge selbst über die erforderliche Sachkunde, darf es sich in den Urteilsgründen hierzu nicht dadurch in Widerspruch setzen, dass es seiner Entscheidung das Erstgutachten ohne Erörterung der geltend gemachten Mängel zugrunde legt (BGHSt 55, 5 m. Anm. Eisenberg JZ 2010, 474).
Rdn 2441
2. Bei dem Antrag des Verteidigers auf Einholung eines weiteren SV-Gutachtens handelt es sich um einen → Beweisantrag, Allgemeines, Teil B Rdn 1091, auf Vernehmung eines weiteren SV. Dieser wird vom Gericht über die allgemeinen Ablehnungsgründe hinaus zusätzlich nach § 244 Abs. 4 S. 2 beurteilt (dazu KK/Krehl, § 244 Rn 201 ff.; zur – bejahten – Verfassungsmäßigkeit von § 244 Abs. 2 S. 2 BVerfG NJW 2004, 209).
☆ Seinen Beweisantrag muss der Verteidiger aus verschiedenen Gründen sorgfältig begründen (wegen der Einzelh. Teil O Rdn 2442 ff.). Meist wollen die Gerichte nämlich wegen des Zeitverlustes nur ungern einen weiteren Gutachter hören, sodass häufig versucht wird, den Antrag nach Möglichkeit abzulehnen. Insbesondere deshalb muss der Verteidiger bei der Begründung seines Antrags die möglichen Ablehnungsgründe des § 244 Abs. 4 S. 1 und 2 im Blick haben (zum Inhalt eines Beweisantrags allgemein → Beweisantrag, Inhalt , Teil B Rdn 1198 ) und außerdem Folgendes beachten :sorg...