Leitsatz
Die durch eine Öffnungsklausel legitimierte Mehrheitsmacht wird materiell-rechtlich unter anderem durch unentziehbare, aber verzichtbare Mitgliedschaftsrechte begrenzt; ein in solche Rechte ohne Zustimmung der nachteilig betroffenen Wohnungseigentümer eingreifender Beschluss ist schwebend unwirksam.
Zu den unentziehbaren, aber verzichtbaren Mitgliedschaftsrechten gehört das sogenannte Belastungsverbot, das jeden Wohnungseigentümer vor der Aufbürdung neuer (originärer) – sich weder aus dem Gesetz noch aus der bisherigen Gemeinschaftsordnung ergebender – Leistungspflichten schützt.
Normenkette
§ 23 Abs. 1 WEG
Das Problem
- Nach § 6 der Gemeinschaftsordnung obliegt die Instandhaltung des gemeinschaftlichen Eigentums der "Gemeinschaft der Wohnungseigentümer" und ist vom Verwalter durchzuführen. § 4 der Gemeinschaftsordnung bestimmt, dass eine Änderung ihrer §§ 3 – 20 durch "Beschluss mit 2/3 Mehrheit" möglich ist.
- Im Jahr 2012 beschließen die Wohnungseigentümer mit 4 "Ja-" und 2 "Nein"-Stimmen, dass bei den Sondernutzungsflächen der Erdgeschosswohnungen, welche im Aufteilungsplan mit Nr. 1 und 2 gekennzeichnet sind, ab dem 1.7.2012 die ordnungsgemäße Instandhaltung "in Gestalt von Gartenpflege und Reinigungsarbeiten" den jeweiligen Sondernutzungsberechtigten obliegt und diese auch die dadurch entstehenden Kosten zu tragen hätten; dies schließe die notwendige Bewässerung mit ein.
- Gegen diesen Beschluss geht Wohnungseigentümer K, dessen Sondereigentum im Erdgeschoss liegt und zu dessen Miteigentumsanteil das Sondernutzungsrecht an einer im Aufteilungsplan mit Nr. 2 bezeichneten Gartenfläche gehört, vor. Das AG Hamburg-Bergedorf (AG) weist die Klage im Wesentlichen ab. Es erklärt den Beschluss lediglich insoweit für ungültig, als dieser die Zeit vor dem Tag der Beschlussfassung betrifft. K's gegen die Klageabweisung eingelegte Berufung bleibt beim LG Hamburg erfolglos. Mit der Revision möchte K erreichen, dass der angefochtene Beschluss vollends für ungültig erklärt wird.
Die Entscheidung
Mit Erfolg! Der Beschluss ist nach Ansicht des BGH nichtig.
Der Beschluss sei allerdings hinreichend bestimmt. Der Beschluss enthalte durchführbare Regelungen und weise auch keine inneren Widersprüche auf (Hinweis unter anderem auf BGH v. 10.9.1998, V ZB 11/98, BGHZ 139 S. 288, 298). Der Beschlussinhalt sei durch Auslegung zu ermitteln. Dabei komme es bei der gebotenen objektiven Auslegung maßgebend darauf an, wie der Beschluss nach seinem Wortlaut und Sinn für einen unbefangenen Betrachter nächstliegend zu verstehen sei (Hinweis auf BGH grundlegend v. 10.9.1998, V ZB 11/98, BGHZ 139 S. 288, 292 und BGH v. 28.9.2012, V ZR 251/11, BGHZ 195 S. 22 Rn. 14 sowie für die Auslegung von Vereinbarungen BGH v. 25.9.2009, V ZR 33/09, NJW-RR 2010 S. 227 Rn. 8). Gemessen daran werde hinreichend deutlich, dass es sich bei den übertragenen Instandhaltungsmaßnahmen um solche handelt, die sich im üblichen Rahmen der Gartenpflege hielten, also um Maßnahmen, die der Pflege, Erhaltung oder Bewahrung der Gartenfläche dienen. Zur Instandhaltung zählten nach "gefestigter Rechtsprechung" neben der für den Erhalt der Pflanzen notwendigen Bewässerung insbesondere der übliche Baumschnitt, das Auslichten von Bäumen, die Erneuerung abgestorbener Pflanzen sowie das Rasenmähen und Heckenschneiden (Hinweis unter anderem auf OLG Schleswig v. 3.5.2007, 2 W 25/07, OLGR 2007 S. 881, 882; OLG Köln v. 27.6.2005, 16 Wx 58/05, NJW-RR 2005 S. 1541 f.; LG Hamburg v. 10.9.2010, 318 S 24/09, NZM 2011 S. 589, 593). Was die zeitlichen Intervalle anbelange, folge ohne Weiteres aus Sinn und Zweck der Regelung, dass die Maßnahmen der Gartenpflege bei Bedarf anfallen sollen. Soweit die Revision rüge, es sei unklar, was unter den Begriff der "Reinigungsarbeiten falle", weil die Sondernutzungsflächen insgesamt gärtnerisch angelegt seien, stehe dem die den Senat bindende tatbestandliche Feststellung entgegen, wonach zu den Sondernutzungsflächen der Klägerin auch steinplattenbelegte Terrassenflächen sowie Steinstufen gehören, die einen gelegentlichen Reinigungsaufwand erfordern können.
Die Wohnungseigentümer hätten auch eine Beschlusskompetenz besessen, die Gemeinschaftsordnung zu ändern. § 4 der Gemeinschaftsordnung habe es den Wohnungseigentümern erlaubt, ihre §§ 3 – 20 im Beschlusswege mit – hier erreichter – qualifizierter Mehrheit zu ändern. Dass der Gegenstand der Beschlussfassung hierunter falle, unterliege keinem Zweifel.
- Der Beschluss sei aber aus materiellen Gründen unwirksam. Eine Öffnungsklausel habe lediglich die Funktion, zukünftige Mehrheitsentscheidungen formell zu legitimieren, ohne sie materiell zu rechtfertigen (Hinweis unter anderem auf Becker, ZWE 2002, S. 341, 343, Wenzel, ZNotP 2004, S. 170 f. und Elzer, in Jennißen, WEG, 3. Aufl. 2012, § 23 Rn. 11). Deshalb sei ein Änderungsbeschluss auf der Grundlage einer Öffnungsklausel nicht schon dann rechtmäßig, wenn er die Anforderungen der Ermächtigungsgrundlage erfülle. Vielmehr seien insbesondere zum Schutz der Min...