Prof. Dr. Susanne Ferrari, Dr. Marion Koch-Hipp
Rz. 28
Das österreichische Gesetz gewährt einem Ehegatten mit dringendem Wohnbedürfnis einen besonderen Schutz: Ist der andere Gatte über die entsprechende Wohnung verfügungsberechtigt, so hat der wohnbedürftige Gatte einen Wohnungserhaltungsanspruch: Der verfügungsberechtigte Gatte hat alles zu unterlassen und vorzukehren, damit der auf die Wohnung angewiesene Gatte diese nicht verliert (§ 97 ABGB). Der Wohnungserhaltungsanspruch ergibt sich aus der Beistandspflicht und ist vom Bestehen eines Unterhaltsanspruchs unabhängig. Er ist nach § 97 S. 2 ABGB ausgeschlossen, wenn das Handeln oder Unterlassen des verfügungsberechtigten Ehegatten durch die Umstände erzwungen wird, eine Wohnungserhaltung ihm somit nicht zumutbar ist.
Rz. 29
Ein dringendes Wohnbedürfnisses des gefährdeten Ehegatten ist gegeben, wenn er auf die Wohnung angewiesen ist und ihm keine ausreichende und gleichwertige Unterkunft zur Verfügung steht. In diesem Fall hat der verfügungsbefugte Ehegatte für eine ungeschmälerte Benützung der Wohnung durch den wohnungsbedürftigen Gatten zu sorgen und jede Beeinträchtigung zu vermeiden. Durch § 97 ABGB ist der wohnungsbedürftige Gatte vor rechtlichen Dispositionen über die Wohnung (wie z.B. Veräußerung, Verzicht, Zulassung exekutiver Verwertung, Unterlassung der Kündigungsabwehr) ebenso geschützt wie vor rein tatsächlicher Verdrängung oder Störung (wie Austausch des Wohnungsschlosses, Aufnahme einer störenden dritten Person, Aussperren aus einzelnen Räumen, Behinderung des Zutritts der Wohnung durch Anwendung körperlicher Gewalt).
Rz. 30
Der Wohnungserhaltungsanspruch ist im Streitverfahren mittels Leistungs- bzw. Unterlassungsklage geltend zu machen und durch einstweilige Verfügung nach § 382h EO sicherbar. Hat der verfügungsberechtigte Ehegatte die Wohnungserhaltungspflicht schuldhaft verletzt, steht dem wohnungsbedürftigen Ehegatten gegen diesen ein Schadenersatzanspruch zu, welcher primär auf Naturalrestitution, d.h. Wiederherstellung und Duldung der ungeschmälerten Wohnungsbenützung, gerichtet ist. Ist eine Wiederherstellung der konkreten Wohnmöglichkeit nicht möglich oder wirtschaftlich untunlich, so richtet sich der Schadenersatzanspruch auf Beschaffung einer gleichwertigen Ersatzwohnung oder Ersatz des Beschaffungswertes einer solchen Wohnmöglichkeit.
Rz. 31
Da der Wohnungserhaltungsanspruch bloß schuldrechtlicher Natur ist, kann er gegenüber Dritten grundsätzlich nicht geltend gemacht werden. Nach einhelliger Meinung besteht aber ausnahmsweise dann ein Schadenersatzanspruch gegenüber Dritten, wenn sie in schuldhafter Weise den Wohnungserhaltungsanspruch beeinträchtigen (etwa durch Erwerb der Wohnungsliegenschaft bzw. der Eigentumswohnung, durch Lösung des Wohnungsverhältnisses u.a.). Der Schadenersatzanspruch des wohnungsbedürftigen Ehegatten gegen den Drittstörer deckt sich inhaltlich mit jenem gegen den anderen Ehegatten, ist also primär auf Naturalrestitution gerichtet, was nicht die Rückabwicklung des Rechtsgeschäfts zwischen dem verfügenden Ehegatten und dem Dritten bedeutet, sondern lediglich die Wiederherstellung und Duldung der ungeschmälerten Wohnungsbenützung durch den berechtigten Ehegatten. Der berechtigte Ehegatte kann den Wiederherstellungsanspruch dem Räumungsbegehren des unredlichen Dritterwerbers entgegenhalten.
Rz. 32
Der Wohnungserhaltungsanspruch erlischt mit der Rechtskraft des Scheidungsurteils. Hat der wohnungsbedürftige Ehegatte jedoch rechtzeitig einen Antrag auf Aufteilung des ehelichen Vermögens gestellt (siehe § 95 EheG), wirkt der Anspruch im Aufteilungsverfahren fort und erlischt erst mit dessen rechtskräftiger Erledigung.
Rz. 33
Seine Grenzen findet der Wohnungserhaltungsanspruch im Rechtsmissbrauch: Dieser ist anzunehmen, wenn der wohnungsbedürftige Ehegatte seine Beistandspflicht selbst gröblich vernachlässigt hat. Eine Wegweisung nach § 382b Abs. 1 EO führt nicht automatisch zur Verwirkung des § 97 ABGB; es bedarf einer umfassenden Interessenabwägung.
Rz. 34
Der Anspruch nach § 97 ABGB ist aktiv wie passiv unvererblich; er endet somit mit dem Tod des verfügungsberechtigten Ehegatten. In weiterer Folge schützen § 14 Abs. 3 MRG, § 14 WEG sowie die Regelungen über das gesetzliche Vorausvermächtnis nach § 745 Abs. 1 ABGB den überlebenden Ehegatten vor Wohnungsverlust.
Rz. 35
Im Zusammenhang mit dem Wohnungsschutz sei noch auf die Bestimmungen über den Gewaltschutz, denen große praktische Bedeutung zukommt, hingewiesen: Das Gericht hat Personen, die einer anderen Person durch einen körperlichen Angriff oder durch eine Drohung mit einem solchen oder durch ein die psychische Gesundheit erheblich beeinträchtigendes Verhalten das weitere Zusammenleben unzumutbar machen, auf deren Antrag das Verlassen der Wohnung und deren unmittelbarer Umgebung aufzutragen und die Rückkehr in die Wohnung und deren unmittelbare Umgebung zu verbieten, wenn die Wohnung der Befriedigung des dringenden Wohnbedürfnis...