Mag. Johanna Haunschmidt, Dr. Franz Haunschmidt
Rz. 56
Durch Hinzu- und Anrechnung von Schenkungen wird verhindert, dass der Pflichtteilsanspruch aller oder bestimmter Personen vom Verstorbenen durch unentgeltliche Zuwendungen zu Lebzeiten geschmälert oder vereitelt wird. Auf Verlangen eines Pflichtteilsberechtigten sind deshalb bestimmte Schenkungen an pflichtteilsberechtigte Personen oder Dritte rechnerisch dem aktiven Verlassenschaftsvermögen hinzuzurechnen, so als wäre die Schenkung nicht vorgenommen worden. Ausgehend von diesem erhöhten Verlassenschaftsvermögen ist der Pflichtteilsanspruch jedes Pflichtteilsberechtigten dann neu zu berechnen. Jeder Pflichtteilsberechtigte, der selbst eine Schenkung erhalten hat, muss sich diese auf seinen eigenen Pflichtteilsanspruch anrechnen lassen. Dieser erhöhte Pflichtteil ist aus dem zum Todeszeitpunkt vorhandenen Verlassenschaftsvermögen zu entrichten; reicht dieses nicht aus, kann der Pflichtteilsberechtigte den Rest vom Geschenknehmer fordern. Mehrere Geschenknehmern haften anteilmäßig (§ 789 Abs. 2 ABGB).
Rz. 57
Unter Schenkungen sind alle unentgeltlichen Zuwendungen zu verstehen (§ 781 Abs. 2 ABGB), insbesondere:
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die Ausstattung eines Kindes (Heiratsgut und sonstige Leistungen des Verstorbenen im Zusammenhang mit der Eheschließung oder der Eingehung einer eingetragenen Partnerschaft), |
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ein Vorschuss auf den Pflichtteil (Anrechnung muss nicht vereinbart werden), |
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die Abfindung für einen Erb- oder Pflichtteilsverzicht, |
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die Vermögenswidmung an eine Privatstiftung, |
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die Einräumung der Stellung als Begünstigter einer Privatstiftung, soweit ihr der Verstorbene sein Vermögen gewidmet hat, sowie |
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jede andere Leistung, die nach ihrem wirtschaftlichen Gehalt einem unentgeltlichen Rechtsgeschäft unter Lebenden gleichkommt (z.B. einseitig begünstigende Nachfolgeregelungen in Gesellschaftsverträgen oder Zuwendungen an eine ausländische Stiftung oder eine vergleichbare Vermögensmasse; nur lebzeitige Zuwendungen). |
Rz. 58
Bei gemischten Schenkungen (Rechtsgeschäften, die zum Teil Schenkung, zum Teil Kaufvertrag sind) ist der geschenkte Teil anzurechnen. Ob eine gemischte Schenkung vorliegt, hängt vom geäußerten Willen der Parteien (Schenkungsabsicht) und – weil insbesondere unter nahen Angehörigen auch eine Verschleierung möglich ist – von der Relation der versprochenen Leistungen zum Übergabewert ab. Die Schenkungsabsicht hat derjenige zu beweisen, der darauf seine Ansprüche begründet. Selbst ein krasses objektives Missverhältnis der beiderseitigen Leistungen bedeutet noch nicht zwingend ein Indiz für eine Schenkungsabsicht.
Rz. 59
Auch die Zuwendung einer Lebensversicherung stellt eine anrechenbare Schenkung dar. Der Anrechnung unterliegt die gesamte Versicherungssumme – und nicht nur die eingezahlten Prämien oder der Rückkaufswert.
Rz. 60
Eine Schenkung auf den Todesfall ist einer Schenkung unter Lebenden gleichgestellt (§ 781 Abs. 1 ABGB).
Rz. 61
Ausnahmen von der Hinzu- und Anrechnungspflicht (§ 784 ABGB):
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Schenkungen, die der Verstorbene aus bloßen Erträgnissen gemacht hat; |
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Schenkungen zu gemeinnützigen Zwecken, in Entsprechung einer sittlichen Pflicht, z.B. bei Leistungen eines Kindes, die weit über die nach familienrechtlichen Vorschriften bestehenden Pflichten hinausgehen, oder aus Rücksichten des Anstandes; |
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Ausnahme von der Anrechnungspflicht (§ 785 ABGB): Der Erlass der Anrechnung einer Schenkung an einen Pflichtteilsberechtigten kann vom Verstorbenen letztwillig verfügt werden oder mit dem Pflichtteilsberechtigten vereinbart werden. In einem solchen Fall ist die von der Anrechnung befreite Zuwendung bei der Ermittlung des Pflichtteils dieses von der Anrechnung befreiten Pflichtteilsberechtigten nicht hinzuzurechnen. Der Vertrag über den Erlass der Anrechnung bedarf der Schriftform; die Aufhebung dieses Vetrags bedarf der Notariatsform. |
Rz. 62
Bei der Hinzu- und Anrechnung von Schenkungen wird zwischen einem pflichtteilsberechtigten und einem nicht pflichtteilsberechtigten Geschenknehmer unterschieden (§§ 782, 783 ABGB):
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Schenkungen an abstrakt pflichtteilsberechtigte Personen (Nachkommen, Ehepartner, eingetragener Partner) sind unbefristet hinzu- und anzurechnen, |
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Schenkungen an nicht Pflichtteilsberechtigte dann, wenn die Schenkung innerhalb von zwei Jahren vor dem Tod des Geschenkgebers wirklich gemacht wurde. |
Bei der Beurteilung der Pflichtteilsberechtigung wird nicht auf die konkrete Pflichtteilsberechtigung abgestellt. Es genügt die abstrakte Pflichtteilsberechtigung im Schenkungs- und Todeszeitpunkt.
Rz. 63
Da Zuwendungen an nicht Pflichtteilsberechtigte nur befristet hinzuzurechnen sind, ist der Zeitpunkt des Beginnes der Zweijahresfrist entscheidend. Dieser hängt davon ab, wann die Schenkung "wirklich gemacht" wurde, sohin der Verstorbene das Vermögensopfer erbracht hat. Ein Spannungsverhältnis besteht hierbei insbesondere im Zusammenhang mit Übertragungen von Liegenschaften, bei denen sich der Verstorbene Rechte (Widerrufsvorbehalt, Fruchtgenussrecht, Wohnungsgebrauchsr...