Prof. Dr. Susanne Ferrari, Dr. Marion Koch-Hipp
Rz. 72
Die Ehegatten sollen ihre eheliche Lebensgemeinschaft, besonders die Haushaltsführung, die Erwerbstätigkeit, die Leistung des Beistandes und die Obsorge, unter Rücksichtnahme aufeinander und auf das Wohl der Kinder mit dem Ziel voller Ausgewogenheit ihrer Beiträge einvernehmlich gestalten (§ 91 Abs. 1 ABGB). Die genannten Bereiche stellen nur eine demonstrative Aufzählung dar; die einvernehmliche Gestaltung kann grundsätzlich die gesamte eheliche Gemeinschaft umfassen. Die Gestaltungsfreiheit findet ihre Grenzen im Wesen der Ehe, dem Kindeswohl, der Rücksichtnahme aufeinander und dem Gleichbeteiligungsgrundsatz. Unverzichtbare Wesenselemente der ehelichen Gemeinschaft können nicht einvernehmlich ausgeschlossen werden: Der vereinbarte Ausschluss der gesamten ehelichen Lebensgemeinschaft oder der Ausschluss der wechselseitigen Pflichten zu Treue, Beistand, anständiger Begegnung oder Rücksichtnahme aufeinander ist schlichtweg sittenwidrig. Hingegen sind Vereinbarungen über Kinderlosigkeit oder den Verzicht auf gemeinsames Wohnen zulässig, sofern ein ausreichender Rest an Ehegemeinschaft erhalten bleibt. Die Ehegatten können auch einvernehmlich von den gesetzlichen Vorgaben zur Haushaltsführung (§ 95 ABGB) abgehen (siehe Rdn 60). Zur vertraglichen Regelung der Mitwirkung im Erwerb siehe Rdn 58.
Rz. 73
Die einvernehmliche Gestaltung nichtvermögensrechtlicher Ehewirkungen ist nach h.A. kein bindender Vertrag, sondern lediglich eine faktische Einigung, woraus sich kein klagbarer Anspruch ergibt. Die Verletzung rein persönlicher Rechte und Pflichten kann nach h.A. grundsätzlich nur im Scheidungsverfahren geltend gemacht werden. In einzelnen Fällen werden auch Schadenersatzansprüche anerkannt, wie etwa bei einer Treuepflichtverletzung der Ersatz der Detektivkosten. Vermögensrechtliche Ehewirkungen (wie bspw. Mitwirkung im Erwerb, Unterhalt) können hingegen vertraglich gestaltet werden und unterliegen dabei lediglich den allgemeinen Schranken für Rechtsgeschäfte. Derartige Verträge sind bindend und daraus resultierende Ansprüche gerichtlich durchsetzbar.
Rz. 74
Ein Ehegatte kann einseitig von der einvernehmlichen Gestaltung abgehen, wenn dem nicht ein wichtiges Anliegen des anderen oder der Kinder entgegensteht. Selbst bei Vorliegen eines solchen Anliegens kann ein Abgehen von der einvernehmlichen Gestaltung zulässig sein, wenn persönliche Gründe des Ehegatten als gewichtiger anzusehen sind. Als Beispiel für solch einen persönlichen Grund nennt das Gesetz den Wunsch nach Aufnahme einer Erwerbstätigkeit (§ 91 Abs. 2 ABGB). Geht nun ein Ehepartner gerechtfertigt von einer einvernehmlichen Gestaltung nach § 91 Abs. 1 ABGB ab, so haben sich die Ehegatten nach § 91 Abs. 2 S. 2 ABGB um ein Einvernehmen über die Neugestaltung zu bemühen, wobei das Bemühen auf das Erreichen einer insgesamt möglichst ausgewogenen neuen Gestaltung gerichtet sein muss. Im diesbezüglichen mangelnden Bemühen eines Ehegatten kann u.U. eine schwere Eheverfehlung nach § 49 EheG liegen, welche in weiterer Folge zur Erhebung der Scheidungsklage berechtigt. Geht ein Ehegatte ungerechtfertigt von der einvernehmlichen Gestaltung ab, kann auch darin eine schwere Eheverfehlung liegen.