Prof. Dr. Susanne Ferrari, Dr. Marion Koch-Hipp
Rz. 200
Der unterhaltsberechtigte geschiedene Ehegatte hat nach dem Tod seines früheren Ehegatten unter bestimmten Voraussetzungen einen Pensionsanspruch; die Höhe der Pension ist nach den allgemeinen Grundsätzen (siehe Rdn 85) zu berechnen, darf allerdings nicht höher sein als der Unterhaltsanspruch. Der Anspruch besteht grundsätzlich nur, wenn der Versicherte zum Zeitpunkt seines Todes dem geschiedenen Ehegatten Unterhalt aufgrund eines gerichtlichen Urteils, gerichtlichen Vergleichs oder einer vor Eheauflösung eingegangenen vertraglichen Verpflichtung zu leisten hatte (§ 258 Abs. 4 lit. a–c ASVG). Nach st. Rechtsprechung des OGH muss im Zeitpunkt des Todes des Versicherten der Unterhaltstitel vorhanden, wenn auch zu diesem Zeitpunkt noch nicht in Rechtskraft erwachsen sein. Nach der restriktiven Interpretation der Judikatur muss der Unterhaltsanspruch bestimmt bzw. leicht bestimmbar sein, sodass sich auf einen lediglich bedingt geschlossenen Unterhaltsvergleich kein Pensionsanspruch stützen kann; auch die Unterhaltshöhe muss aus dem Titel bestimmt oder leicht bestimmbar sein. Mit leichter Bestimmbarkeit ist gemeint, dass die Anspruchshöhe ohne weiteren Verfahrensaufwand und bei Durchführung eines Beweisverfahrens unmittelbar bestimmbar ist.
Rz. 201
Entschärft wird diese Regelung durch § 258 Abs. 4 lit. d ASVG, wonach auch bei Nichtvorliegen eines Titels nach § 258 Abs. 4 lit. a–c ASVG ein Pensionsanspruch besteht, wenn die Ehe mindestens zehn Jahre gedauert und der Versicherte bis zu seinem Tod, zumindest aber während des letzten Jahres vor seinem Tod, dem früheren Ehegatten regelmäßig tatsächlich Unterhalt geleistet hat. Die tatsächliche Unterhaltsleistung kann auch in natura erfolgen. Die dem früheren Ehegatten erbrachten Leistungen müssen jedenfalls einen Unterhaltsbedarf decken; werden Leistungen erbracht, die keinen Unterhaltscharakter haben, sondern anderen Zwecken dienen, können sie nicht zur Begründung einer Witwenpension führen. Wirtschaften ehemalige Ehegatten nach der Scheidung als Lebensgefährten "aus einem Topf", liegt keine Unterhaltsleistung vor, weshalb die Voraussetzungen nach § 258 Abs. 4 lit. d ASVG nicht erfüllt sind. Ebenso ist eine Vermögensbildung zu Sparzwecken nicht als Unterhaltsleistung zu beurteilen.
Rz. 202
Die Höhe der Pension richtet sich im Fall des § 258 Abs. 4 lit. d ASVG nach der durchschnittlichen Unterhaltsleistung in den letzten Jahren vor dem Tod, längstens jedoch nach der durchschnittlichen Unterhaltsleistung während der letzten drei Jahre (§ 264 Abs. 9 ASVG). Die Voraussetzungen für einen Unterhaltsanspruch nach § 258 Abs. 4 lit. d ASVG müssen im Todeszeitpunkt zur Gänze vorliegen: Stirbt etwa der Unterhalt leistende Ehegatte binnen eines Jahres nach Rechtskraft des Scheidungsurteils, ist die Gewährung eines Pensionsanspruchs nach dieser Bestimmung abzulehnen.
Rz. 203
Praxishinweis: Um den vollen Pensionsanspruch zu sichern, ist dem unterhaltsberechtigten Ehegatten daher zu raten, auf einen rechtsgültigen Titel (Urteil, Vergleich oder vor Eheauflösung geschlossener Vertrag) zu drängen. Garant für einen sicheren Pensionsanspruch ist dieser jedoch noch nicht, da es hinsichtlich der Entscheidung über einen Pensionsanspruch auf die konkret vorliegende unterhaltsrechtliche Situation im Todeszeitpunkt des Versicherten ankommt, d.h., der Unterhaltstitel muss im Todeszeitpunkt vorhanden (wenn auch noch nicht rechtskräftig) und nicht etwa wegen geänderter Verhältnisse weggefallen sein: Hat der unterhaltsberechtigte Ehegatte etwa im Todeszeitpunkt des Versicherten wegen kurzfristiger Erwerbstätigkeit oder Eingehens einer Lebensgemeinschaft keinen Unterhalt bezogen, erhält er auch keinen Pensionsanspruch. Verändern sich die Umstände nach diesem Zeitpunkt (etwa Wegfall der Erwerbsfähigkeit oder Beendigung der Lebensgemeinschaft), findet dies hinsichtlich eines Pensionsanspruchs keine Berücksichtigung mehr. Wegen dieser "Versteinerung" der unterhaltsrechtlichen Situation im Todeszeitpunkt berührt auch eine Erhöhung oder Verminderung des Unterhaltsanspruchs nach dem Tod des Versicherten die Höhe des Pensionsanspruchs nicht.
Rz. 204
Praxishinweis: Größte Vorsicht ist daher auch geboten, wenn ein Ehegatte auf den Unterhaltsanspruch in monatlichen Geldrenten zugunsten einer einmaligen Kapitalabfindung verzichtet (§ 70 Abs. 2 EheG). Da in diesem Fall zum Todeszeitpunkt kein Unterhaltsanspruch mehr besteht, können daran auch keine pensionsversicherungsrechtlichen Ansprüche nach § 258 Abs. 4 ASVG geknüpft werden. Dies gilt selbst dann, wenn die Abfindung in Teilzahlungen erbracht wird und der zahlungspflichtige Ex-Ehegatte vor der letzten Teilzahlung stirbt. Ein Verzicht auf Geldrente zugunsten einer einmaligen Kapitalabfindung sollte daher sehr gut überlegt sein.