Mag. Johanna Haunschmidt, Dr. Franz Haunschmidt
I. Gerichtszuständigkeit
Rz. 1
Für die Frage, ob bei einer internationalen Erbschaft ein Verlassenschaftsverfahren in Österreich stattfindet, ist seit 17.8.2015 in Österreich die EU-Erbrechtsverordnung (EuErbVO) maßgeblich. Anknüpfungspunkt für die Gerichtszuständigkeit ist primär der gewöhnliche Aufenthaltsort des Erblassers in der EU.
Rz. 2
Für die Ausstellung des Europäischen Nachlasszeugnisses (ENZ) sind in Österreich sachlich die Verlassenschaftsgerichte zuständig, funktionell in bestimmten Fällen der Gerichtskommissär (§ 181b Abs. 2 AußStrG, § 1 Abs. 1 Z 1 lit. d GKG).
II. Anwendbares Recht
Rz. 3
Nach Art. 21 EuErbVO unterliegt die gesamte Rechtsnachfolge von Todes wegen dem Recht jenes Mitgliedstaates, in dem der Erblasser seinen letzten gewöhnlichen Aufenthalt hatte. Ergibt sich aus der Gesamtheit der Umstände eine "engere Verbindung" zu einer anderen Rechtsordnung, ist diese anwendbar. Auf die Staatsangehörigkeit des Erblassers kommt es jedenfalls nicht mehr an.
Rz. 4
Aus österreichischer Sicht stellen die Sondererbfolgeregelungen des Anerbenrechts und des § 14 WEG (Wohnungseigentum von zwei Partnern im Ablebensfall) sowie die Bestimmungen des Grundverkehrsrechts Ausnahmen dar, für die der Grundsatz der Nachlasseinheit nicht gilt (Art. 30 EuErbVO). Der österreichische OGH tendiert jedoch dazu, § 14 WEG als generelle Ausnahme von der EuErbVO zu sehen, sodass weiterhin die österreichischen Gerichte zu dessen Umsetzung zuständig sind.
Rz. 5
Für die Zulässigkeit und Rechtswirksamkeit einer letztwilligen Anordnung ist auf das Recht des Aufenthaltsortes des Erblassers oder dessen zulässige Rechtswahl zum Zeitpunkt der Errichtung abzustellen (Art. 24 Abs. 1 EuErbVO).
III. Gestaltungsmöglichkeiten
Rz. 6
Erblasser und Erbanwärter können nach den Bestimmungen der EuErbVO auf Erbstatut und Gerichtszuständigkeit Einfluss nehmen. Der Erblasser kann mittels letztwilliger Anordnung das Recht jenes Staates wählen, dem der Erblasser zum Zeitpunkt seiner Rechtswahl oder seines Todes als Staatsbürger angehört. In diesem Fall können die Erbprätendenten eine Verlagerung der Gerichtszuständigkeit vom Aufenthaltsstaat zum Heimatstaat des Erblassers vereinbaren oder beantragen.
IV. Bilaterale Abkommen
Rz. 7
Zusätzliche Regelungen bestehen aufgrund bilateraler Abkommen mit Bulgarien (BGBl 1976/342), Estland (1929/266), Frankreich (BGBl 1967/288), Griechenland (RGBl 1856/169), Großbritannien (BGBl 1964/19 idF BGBl 1980/416), Iran (BGBl 1966/45), Italien (BGBl 1974/521), Jugoslawien und Nachfolgestaaten (BGBl 1955/224), Polen (BGBl 1974/79, 1975/383), Rumänien (BGBl 1972/317), Russland (BGBl 1960/21), Tschechien (BGBl 1962/309, 1980/526) und Ungarn (BGBl 1967/306, 1977/146).
Rz. 8
Zwischen Mitgliedstaaten geschlossene Übereinkommen haben Anwendungsvorrang gegenüber der EuErbVO (Art. 75 EuErbVO). Ein Anwendungsvorrang gilt für das Haager Testamentsformübereinkommen und das Nordische Übereinkommen. Im Übrigen werden zwischen Mitgliedstaaten bestehende Abkommen durch die EuErbVO verdrängt (Art. 75 Abs. 2 EuErbVO). In Kraft bleiben nur die Abkommen mit Drittstaaten (Art. 75 Abs. 1 EuErbVO).