Mag. Johanna Haunschmidt, Dr. Franz Haunschmidt
I. Grundbegriffe
Rz. 9
Grundsätzlich kann nach österreichischem Recht jeder von Todes wegen über sein Vermögen frei verfügen (Prinzip der Testierfreiheit). Für den Fall, dass der Verstorbene keine Regelung getroffen hat, tritt die gesetzliche Erbfolge ein. Diese orientiert sich am Willen eines durchschnittlich letztwillig Verfügenden und weist das vererbbare Vermögen den nächsten Verwandten und dem Ehepartner bzw. dem eingetragenen Partner des Verstorbenen zu.
Rz. 10
Zwischen Testierfreiheit und gesetzlicher Erbfolge schafft das Pflichtteilsrecht einen gewissen Ausgleich. Der Verstorbene muss bestimmten nahen Angehörigen eine Quote seines Vermögens zukommen lassen. Wenn er dies unterlässt, räumt das Pflichtteilsrecht den nahen Angehörigen das Recht ein, vom Testamentserben die Zahlung eines entsprechenden Wertes zu verlangen.
II. Gesetzliche Erbfolge
1. Einführung
Rz. 11
Erbe ist derjenige, der einen Anspruch auf die ganze Verlassenschaft oder auf eine bestimmte Quote der Verlassenschaft besitzt. Der Erbe hat ein absolutes, d.h. ein gegen jedermann durchsetzbares Recht. Der Erbe ist Gesamtrechtsnachfolger des Verstorbenen.
Rz. 12
Zum Kreis der gesetzlichen Erben gehören der Ehepartner bzw. der eingetragene Partner, die nächsten leiblichen Verwandten des Verstorbenen und an letzter Stelle auch der Lebensgefährte.
2. Verwandte
Rz. 13
Erbberechtigt sind Verwandte aus ehelicher und unehelicher Abstammung. Ein durch Anerkenntnis oder Feststellungsurteil begründetes Abstammungsverhältnis bleibt so lange bestehen, als es nicht auf dem gesetzlich vorgesehenen Weg beseitigt wird. Die einmal erfolgte Feststellung der Vaterschaft bzw. Elternschaft ist daher dem Verlassenschaftsverfahren bindend zugrunde zu legen. Die Abstammung ist nicht im Verlassenschaftsverfahren als selbstständige Vorfrage zu prüfen.
Rz. 14
Probleme bei der Feststellung des Verwandtschaftsverhältnisses entstehen bei medizinisch unterstützter Fortpflanzung, weil in diesem Fall fraglich ist, welche Personen als Eltern des Kindes in Betracht kommen (Samenspender, Ehegatte bzw. Ehegattin der Mutter, Eispenderin, Leihmutter) und ab welchem Zeitpunkt überhaupt von einem ungeborenen Kind gesprochen werden kann. Hierzu wird auf das Fortpflanzungsmedizingesetz sowie die detaillierten Bestimmungen über die Abstammung gemäß den §§ 140 ff. ABGB verwiesen.
Rz. 15
Die Reihenfolge, in der die Verwandten als gesetzliche Erben zum Zug kommen, gliedert sich in vier Linien (Parentelen):
Rz. 16
1. Linie: Darunter fallen die direkten Nachkommen des Verstorbenen, also Kinder, einschließlich Adoptivkinder, uneheliche und gezeugte, aber noch nicht geborene Kinder, Enkelkinder, Urenkel. Wenn alle Kinder noch leben, so wird die Erbschaft unter ihnen nach Köpfen geteilt. Bei vier Kindern erhält z.B. jedes Kind ¼. Wenn ein Kind bereits vorverstorben ist, so treten dessen Nachkommen an seine Stelle, die wiederum zu gleichen Teilen erben (Repräsentation). Wenn ein Kind kinderlos verstorben ist, so wächst dessen Anteil gleichteilig den übrigen Kindern zu (Anwachsung). Neben dem Ehepartner oder eingetragenen Partner erben Angehörige der ersten Linie zusammen zwei Drittel der Verlassenschaft.
Rz. 17
2. Linie: Nur wenn Verwandte der ersten Linie nicht vorhanden sind, nicht erben wollen oder können, kommt die zweite Linie zum Zug. Dazu gehören die Eltern des Verstorbenen und deren Nachkommen (Geschwister, Nichten, Neffen des Verstorbenen). Adoptiveltern gehen den leiblichen Eltern vor. Wenn beide Elternteile noch leben, erbt jeder die Hälfte der Verlassenschaft. Ist ein Elternteil verstorben, treten an seine Stelle dessen Nachkommen, also die Geschwister des Verstorbenen. Hat der vorverstorbene Elternteil keine Nachkommen, so erhält dessen Anteil der andere Elternteil. Vollbürtige Geschwister (die mit dem Verstorbenen beide Eltern gemeinsam haben) erhalten je einen Erbteil von beiden vorverstorbenen Eltern, halbbürtige Geschwister (die mit dem Verstorbenen nur einen Elternteil gemeinsam haben) erhalten einen Erbteil nur vom gemeinsamen vorverstorbenen Elternteil. Neben dem Ehepartner oder eingetragenen Partner erben nur die Eltern, nicht aber deren Nachkommen (Geschwister, Neffen, Nichten des Verstorbenen), zusammen ein Drittel der Verlassenschaft.
Rz. 18
3. Linie: Sind auch Angehörige der zweiten Linie nicht vorhanden, können oder wollen diese nicht erben, dann fällt die Erbschaft an die Angehörigen der dritten Linie. Zur dritten Linie gehören die Großeltern des Verstorbenen und – bei Vortod der Großeltern – deren Nachkommen (Onkel, Tanten, Cousins, Cousinen des Verstorbenen). Neben dem Ehepartner oder eingetragenen Partner erben die Großeltern und deren Nachkommen nichts.
Rz. 19
4. Linie: Die Urgroßeltern bilden die vierte Linie. Noch weiter entfernte Verwandte (z.B. die Nachkommen der Urgroßeltern oder die Ururgroßeltern und deren Nachkommen) haben kein gesetzliches Erbrecht (Erbrechtsgrenze). Wenn also ein Urgroßelternteil vorverstorben ist, haben seine Nachkommen kein Eintrittsrecht. Ist ein Ehepartner oder eingetragener Partner vorhanden, haben die Ur...