Prof. Dr. Susanne Ferrari, Dr. Marion Koch-Hipp
I. Trennung
Rz. 99
Ein förmliches Verfahren zur Trennung von Tisch und Bett ist dem österreichischen Recht unbekannt. Die von den Ehegatten vollzogene Trennung kann jedoch verschiedene Rechtsfolgen hervorrufen: So ist die Aufhebung der ehelichen Lebensgemeinschaft seit mindestens einem halben Jahr Voraussetzung für die einvernehmliche Scheidung (§ 55a Abs. 1 EheG); die dreijährige Aufhebung der häuslichen Gemeinschaft kann als Scheidungsgrund in einem streitigen Verfahren geltend gemacht werden (§ 55 EheG); bei nicht bloß vorübergehender Trennung gelten hinsichtlich der Obsorge für die gemeinsamen minderjährigen Kinder die §§ 179 f. ABGB (siehe dazu Rdn 190 ff.).
II. Scheidungsgründe
1. Allgemeines
Rz. 100
Die österreichischen Regelungen über Scheidung und Scheidungsfolgen befinden sich im ehemals deutschen Ehegesetz, das 1938 in Österreich eingeführt und seit damals mehrmals grundlegend novelliert worden ist. Beibehalten wurde aber die Zweiteilung der Scheidungsgründe in solche "wegen Verschuldens" und solche "aus anderen Gründen".
2. Scheidung wegen Verschuldens
a) Allgemeines
Rz. 101
Schwere Eheverfehlungen des einen Gatten berechtigen den anderen, die Scheidung der Ehe zu verlangen, wenn sie zur tiefen unheilbaren Zerrüttung der Ehe geführt haben. Eine schwere Eheverfehlung liegt insbesondere vor, wenn ein Ehegatte die Ehe gebrochen oder dem anderen körperliche Gewalt oder schweres seelisches Leid zugefügt hat (§ 49 EheG). Eine unheilbare Zerrüttung ist anzunehmen, wenn die geistige, seelische oder körperliche Gemeinschaft zwischen den Ehegatten objektiv und wenigstens bei einem Ehegatten subjektiv zu bestehen aufgehört hat. Erhebt ein Ehegatte die Klage, so liegt nach der Rechtsprechung i.d.R. bei diesem subjektive Zerrüttung vor. Eheverfehlungen, die nach dem Eintritt der Zerrüttung gesetzt werden, spielen mangels Kausalität für das Scheitern der Ehe i.d.R. keine entscheidende Rolle, es sei denn, dass der verletzte Ehegatte diese Eheverfehlung noch als zerrüttend empfinden durfte oder eine Vertiefung der Zerrüttung durch die Verfehlung nicht ausgeschlossen werden kann, wie insbesondere bei Beleidigungen und Misshandlungen.
Rz. 102
Hat nicht nur der beklagte, sondern auch der klagende Ehegatte Verfehlungen begangen und sind die Verfehlungen des Beklagten erst durch das schuldhafte Verhalten des Klagenden hervorgerufen worden, besteht sonst ein Zusammenhang zwischen den jeweiligen Verfehlungen oder wiegen die Verfehlungen des Klägers unverhältnismäßig schwerer als die des Beklagten, dann ist das Scheidungsbegehren von Amts wegen als sittlich nicht gerechtfertigt abzuweisen (Verwirkung des Scheidungsrechts; § 49 S. 3 EheG).
b) Verzeihung, Fristen, Schuldausspruch
Rz. 103
Die Verschuldensscheidung ist ausgeschlossen, wenn der verletzte Ehegatte dem anderen zu erkennen gibt, dass er dessen Verfehlung verziehen oder nicht als ehezerstörend empfunden hat (§ 56 EheG). Die Verzeihung ist unwiderruflich und wird nicht von Amts wegen beachtet, sondern muss vom Beklagten eingewendet werden.
Rz. 104
Das Gesetz sieht außerdem die Beachtung folgender Fristen vor: Die Scheidungsklage muss binnen sechs Monaten ab Kenntnis des Scheidungsgrundes erhoben werden (§ 57 Abs. 1 EheG). Bei fortgesetzten Eheverfehlungen beginnt die Frist ab dem Zeitpunkt der letzten Eheverfehlung zu laufen. Solange die häusliche Gemeinschaft aufgehoben ist, läuft die Frist allerdings i.d.R. nicht (§ 57 Abs. 1 S. 3 EheG). Des Weiteren ist eine absolute Frist zu beachten: Die Scheidung ist (unabhängig von der Kenntnis des Scheidungsgrundes) nicht mehr zulässig, wenn seit dem Eintritt des Scheidungsgrundes zehn Jahre verstrichen sind (§ 57 Abs. 2 EheG).
Rz. 105
Zur nachträglichen Geltendmachung von Scheidungsgründen siehe § 59 EheG.
Rz. 106
Wird die Ehe wegen Verschuldens des Beklagten geschieden, so ist dies im Scheidungsurteil auszusprechen (§ 60 Abs. 1 EheG). Der Beklagte hat aber die Möglichkeit, eine Widerklage zu erheben oder einen Mitschuldantrag zu stellen (§ 60 Abs. 2 und 3 EheG). Siehe näher Rdn 122.