Prof. Dr. Susanne Ferrari, Dr. Marion Koch-Hipp
1. Allgemeines
Rz. 212
Eheverträge, die zu Beginn oder im Laufe der Ehe geschlossen werden und auch Regelungen für den Fall der Scheidung beinhalten (über Unterhalt, Vermögensaufteilung etc.), sind in der österreichischen Rechtspraxis noch relativ selten, wenngleich sie sich zunehmender Beliebtheit erfreuen und vor allem dann abgeschlossen werden, wenn einer oder beide Partner zum zweiten (dritten etc.) Mal eine Ehe eingehen. Es gibt aber, soweit ersichtlich, noch keine einzige Entscheidung des OGH, die sich mit der Anfechtung eines solchen (gesamten) Ehevertrages zu beschäftigen gehabt hätte.
2. Vermögensaufteilung
Rz. 213
Den Ehegatten steht es frei, während der Ehe – auch ohne Zusammenhang mit einem Verfahren auf Auflösung der Ehe – Gütergemeinschaftsverträge zu schließen (siehe Rdn 27). Zu deren Wirkung nach Auflösung der Ehe siehe Rdn 158 f.
Rz. 214
Die Ehegatten können schon bei Eheeingehung oder auch während der Ehe Vorausvereinbarungen über die Aufteilung ehelicher Ersparnisse und ehelichen Gebrauchsvermögens schließen (§ 97 Abs. 1 EheG). Auch ein Vorausverzicht auf den Aufteilungsanspruch nach den §§ 81 ff. EheG ist möglich. Verträge, die im Voraus die Aufteilung der ehelichen Ersparnisse oder der Ehewohnung regeln, bedürfen zu ihrer Rechtswirksamkeit eines Notariatsakts. Vorausvereinbarungen über die Aufteilung des übrigen ehelichen Gebrauchsvermögens sind schriftlich abzuschließen (§ 97 Abs. 1 EheG).
Rz. 215
Für die Ehewohnung gibt es seit dem FamRÄG 2009 zwei spezielle Möglichkeiten der Vorausvereinbarung: das "opting-in" (siehe Rdn 151) und das "opting-out". Unter dem in § 87 Abs. 1 S. 2 EheG geregelten "opting-out" versteht man eine Vereinbarung, durch welche die Ehegatten für den Fall der Scheidung die gerichtliche Übertragung des Eigentums oder eines anderen dinglichen Rechts an einer Ehewohnung nach § 82 Abs. 2 EheG ausschließen (zu § 82 Abs. 2 EheG siehe Rdn 151). Zu Vorausvereinbarungen über die Nutzung der Ehewohnung siehe Rdn 216.
Rz. 216
Vorausvereinbarungen unterliegen einer beschränkten Inhaltskontrolle im Rahmen des Aufteilungsverfahrens, das auf Antrag eines Gatten innerhalb eines Jahres ab Rechtskraft der eheauflösenden Entscheidung einzuleiten ist (§ 95 EheG). Das Aufteilungsgericht kann in besonders schutzwürdigen Fällen von der Vereinbarung abweichende Anordnungen treffen:
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Das ist erstens dann der Fall, wenn eine Vorausvereinbarung über die Aufteilung der ehelichen Ersparnisse und des ehelichen Gebrauchsvermögens – mit Ausnahme der Ehewohnung – in einer Gesamtbetrachtung des aufzuteilenden Vermögens im Zeitpunkt der Aufteilungsentscheidung einen Teil unbillig benachteiligt, sodass ihm die Einhaltung unzumutbar ist (Unzumutbarkeitskontrolle, § 97 Abs. 2 EheG). |
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Die zweite Abweichmöglichkeit betrifft Vorausvereinbarungen über die Nutzung der Ehewohnung durch einen Ehegatten. Von solchen kann das Gericht abweichen, soweit der andere Ehegatte oder ein gemeinsames Kind seine Lebensbedürfnisse nicht hinreichend decken kann oder eine deutliche Verschlechterung seiner Lebensverhältnisse hinnehmen müsste (Unbilligkeitskontrolle, § 97 Abs. 3 EheG). |
Rz. 217
Die Reichweite beider Kontrollen ist strittig. Zunächst ist unklar, was mit der Ausnahme von Ehewohnungen von der Unzumutbarkeitskontrolle gemeint ist. Nach zutr. Ansicht soll diese Ausnahme mittels teleologischer Reduktion nur für Vereinbarungen über die dingliche Zuordnung von eingebrachten oder gleichgestellten Wohnungen gelten (§ 82 Abs. 2 EheG) und nicht für Errungenschaftswohnungen, die vom Wortlaut ebenfalls umfasst wären. Im Zusammenhang mit der Unbilligkeitskontrolle ist strittig, ob das Gericht bei Vorliegen der in § 97 Abs. 3 EheG genannten Voraussetzungen, trotz einer entgegenstehenden Vorausvereinbarung nach § 87 Abs. 1 S. 2 EheG ("opting-out"), nur ein obligatorisches oder auch ein dingliches Wohnungsbenützungsrecht zugunsten des schutzwürdigen Gatten anordnen kann. Zu den maßgebenden Kriterien für abweichende Anordnungen des Gerichts im Zuge der beiden Kontrollen siehe § 97 Abs. 4 EheG.
Rz. 218
Die oben zu den Vorausvereinbarungen erwähnten Vorschriften über die Form und die gerichtlichen Kontrollmöglichkeiten gelten nicht für Verträge, welche die Ehegatten im Zusammenhang mit einem Verfahren auf Scheidung, Aufhebung oder Nichtigerklärung der Ehe über die Aufteilung des ehelichen Gebrauchsvermögens und der ehelichen Ersparnisse schließen (§ 97 Abs. 5 EheG). Solche Verträge können daher uneingeschränkt und formfrei geschlossen werden. Sie sind nur nach den allgemeinen vertragsrechtlichen Bestimmungen anfechtbar. Auch ein gänzlicher Verzicht auf jeglichen Aufteilungsanspruch ist zulässig. Zur Frage, wann ein solcher Zusammenhang mit einem Eheauflösungsverfahren vorliegt, gibt es umfangreiche Judikatur, die sich primär auf das Scheidungsverfahren bezieht.