Entscheidungsstichwort (Thema)
Rechtsmittel des Verfahrenskostenhilfe erhaltenden Beteiligten gegen die Festsetzung zur Erstattung seiner Auslagen
Leitsatz (amtlich)
1. Für die Verfahrenskostenhilfe beantragende Partei eröffnen §§ 76 Abs. 1 FamFG, 127 Abs. 2 Satz 2 ZPO bei behaupteter Beeinträchtigung in eigenen Rechten die sofortige Beschwerde gegen alle Entscheidungen zur Verfahrenskostenhilfe, unabhängig davon, ob es sich um Entscheidungen im Bewilligungs- oder Festsetzungsverfahren handelt.
2. Die Erstattungsfähigkeit von Auslagen im Rahmen gewährter Verfahrenskostenhilfe der Höhe nach bestimmt sich nicht analog §§ 5, 6 JVEG oder nach der Bekanntmachung des Bayerischen Staatsministeriums der Justiz vom 14. Juni 2006 über die Gewährung von Reiseentschädigung, sondern nach sozialhilferechtlichen Grundsätzen, da es sich bei der Verfahrenskostenhilfe um eine Form der Sozialhilfe im Bereich der Rechtspflege handelt.
3. Der Berechtigte hat im Rahmen des Zumutbaren sämtliche Einsparmöglichkeiten zu nutzen.
4. Bei einer normalen Fahrtdauer von 9,5 Stunden mit 3 bis 6 Umsteigevorgängen bei Nutzung des öffentlichen Personennahverkehrs und zu erwartender weit überdurchschnittlichen Auslastung (Überfüllung) sowie Verspätungen und Ausfällen im Zugverkehr ist der Verzicht auf die Benutzung von Fernverkehrsmitteln (ICE) auch im Verhältnis zu Einsparungsmöglichkeiten aufgrund des 9-Euro-Tickets nicht zumutbar.
5. Die mittellose Partei, der Verfahrenskostenhilfe gewährt wurde, hat Anspruch auf ein preiswertes Einzelzimmer ohne sonderlichen Komfort.
Normenkette
FamFG § 76 Abs. 1; ZPO §§ 122, 127 Abs. 2 S. 2
Verfahrensgang
AG Aschaffenburg (Aktenzeichen 5 F 798/22) |
Tenor
1. Auf die sofortige Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Aschaffenburg vom 26.01.2023, Az. 5 F 798/22, abgeändert. Die erstattungsfähigen Auslagen des Antragstellers werden auf 173,80 EUR festgesetzt.
2. Im Übrigen wird die sofortige Beschwerde zurückgewiesen.
3. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
Gründe
I. 1. Der in Berlin wohnhafte Antragsteller wurde unter Anordnung des persönlichen Erscheinens in einem Verfahren betreffend das Umgangsrecht mit seinen minderjährigen Kindern mit Verfügung vom 05.08.2022 zu einem Termin am 09.09.2022 um 08:30 Uhr vor dem Amtsgericht - Familiengericht - Aschaffenburg geladen.
Mit Schreiben vom 19.08.2022 beantragte der Antragsteller unter Vorlage eines Bescheides über den Bezug von Leistungen nach dem SGB II aufgrund Mittellosigkeit die Übernahme der Fahrtkosten. Mit richterlicher Verfügung vom 26.08.2022 genehmigte die zuständige Amtsrichterin die Übernahme der Kosten einer entsprechenden Bahnfahrkarte.
Am 01.09.2022 erfolgte eine telefonische Kontaktaufnahme der Geschäftsstelle des Amtsgerichts mit der Verfahrensbevollmächtigten des Antragstellers. Diese teilte mit, dass sie noch Rücksprache mit dem Antragsteller wegen der konkreten Ausgestaltung der Fahrkarte nehmen werde. Gemäß einem Aktenvermerk der Geschäftsstelle (Bl. 29 d.A.) teilte die Verfahrensbevollmächtigte des Antragstellers sodann am 05.09.2022 mit, dass der Antragsteller mit dem eigenen Pkw anreise und eine Bahnfahrkarte nicht benötigt werde.
Mit Beschluss vom 06.09.2022 wurde dem Antragsteller Verfahrenskostenhilfe ohne Zahlungsanordnung bewilligt.
Zum Termin am 09.09.2022 erschien der Antragsteller mit einem beauftragten Korrespondenzanwalt. Im Termin erfolgte eine Erörterung der Sach- und Rechtslage mit den Kindseltern, Jugendamt sowie Verfahrensbeistand. Das Ende des Termins ist im Protokoll zeitlich nicht mit einer Uhrzeit vermerkt. Das Verfahren ist derzeit noch nicht beendet.
2. Mit Schreiben vom 12.09.2022 (Bl. 19 UH VKH) machte der Antragsteller die Erstattung seiner Fahrtkosten geltend. Ergänzend beantragte er zudem die Übernahme von Übernachtungskosten in Höhe von 79,00 EUR, da er aufgrund des frühen Terminzeitpunkts und der Entfernung zwischen Wohnort und Gerichtsort am Vortag angereist sei. Beigefügt war eine auf eine dritte Person ausgestellte Hotelrechnung vom 08./09.09.2022 für eine Übernachtung für zwei Personen inklusive Frühstück über einen Gesamtbetrag von 99,00 EUR. Mit Schreiben vom 30.09.2022 teilte der Antragsteller mit, dass die Reservierung durch eine zur Unterstützung mitreisende Begleitperson erfolgt sei, die Zahlung der Hotelrechnung jedoch durch ihn selbst in bar. Es sei seiner Verfahrensbevollmächtigten telefonisch bestätigt worden, dass er zur Anfahrt ein Privatfahrzeug nutzen könne, da eine Fahrkarte mit der Bahn bei der erforderlichen kurzfristigen Buchung teurer gewesen wäre. Die einfache Wegstrecke zwischen Berlin und Aschaffenburg betrage 600 km. Mit Schriftsatz vom 30.11.2022 beantragte der Antragsteller insoweit, ihm Reisekosten von 392,70 EUR (0,35 EUR × 561 km × 2) zu erstatten. Die Anreise mit der Bahn unter Nutzung des 9-Euro-Tickets sei ihm unzumutbar.
Die Bezirksrevisorin beim Landgericht Aschaffenburg erklärte mit Stellungnahme vom 21.11.2022, dass eine Fahrtkosteners...