Verfahrensgang

AG Hersbruck (Entscheidung vom 02.12.2009; Aktenzeichen 7 OWi 702 Js 60953/09)

 

Tenor

I. Auf die Rechtsbeschwerde der Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts Hersbruck vom 2. Dezember 2009 aufgehoben.

II. Die Sache wird zur erneuten Entscheidung an das Amtsgericht Hersbruck zurückverwiesen.

 

Gründe

I. Das Amtsgericht hat mit Urteil vom 02.12.2009 den Einspruch der Betroffenen gegen den Bußgeldbescheid der Zentralen Bußgeldstelle im Bayerischen Polizeiverwaltungsamt vom 20.11.2008, mit dem gegen die Betroffene wegen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 41 km/h eine Geldbuße von 100,00 € und ein Fahrverbot für die Dauer eines Monats verhängt worden war, gemäß § 74 Abs. 2 OWiG mit der Begründung verworfen, das Ausbleiben der - von der Verpflichtung zum Erscheinen in der Hauptverhandlung nicht entbundenen - Betroffenen in der Hauptverhandlung sei nicht ausreichend entschuldigt.

Mit der gegen diese Entscheidung geführten Rechtsbeschwerde rügt die Betroffene die Verletzung formellen und materiellen Rechts.

II. Die gemäß § 79 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 OWiG statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde hat mit der § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO i.V.m. § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG genügenden Verfahrensrüge der Verletzung des § 74 Abs. 2 OWiG Erfolg.

Der Tatrichter hat im Rahmen der Würdigung der von ihm getroffenen Feststellungen an das Vorliegen einer "genügenden" Entschuldigung im Sinne dieser Vorschrift zu strenge Anforderungen gestellt.

1. Gemäß § 74 Abs. 2 OWiG ist der Einspruch eines Betroffenen gegen einen Bußgeldbescheid ohne Verhandlung zur Sache zu verwerfen, wenn der von der Verpflichtung zum Erscheinen nicht entbundene Betroffene in der Hauptverhandlung ausgeblieben und sein Ausbleiben nicht genügend entschuldigt ist. Entscheidend für die Frage der genügenden Entschuldigung ist, ob die im Einzelfall abzuwägenden Belange des Betroffenen einerseits und seine öffentlich-rechtliche Pflicht zum Erscheinen in der Hauptverhandlung andererseits den Entschuldigungsgrund als triftig erscheinen lassen, d. h. ob dem Betroffenen unter den gegebenen Umständen ein Erscheinen billigerweise nicht zumutbar war. Ob geltend gemachte Entschuldigungsgründe tatsächlich zutreffen, ist im Wege des Freibeweises zu prüfen; die Vermutung oder der Verdacht allein, dass die angeführten Gründe unrichtig sind, rechtfertigt die Verwerfung nicht. Bleiben trotz der vorgebrachten und ermittelten Umstände Zweifel an der genügenden Entschuldigung, so ist nach dem Grundsatz "im Zweifel für den Betroffenen" für eine Einspruchsverwerfung gemäß § 74 Abs. 2 OWiG kein Raum (Rebmann/Roth/Herrmann OWiG 3. Aufl. 14. Lfg. § 74 Rn. 14; KK/Senge OWiG 3. Aufl. § 74 Rn. 35; Göhler OWiG 15. Aufl. § 74 Rn. 29, jeweils m. zahlr. N.). Eine Erkrankung stellt dann einen ausreichenden Entschuldigungsgrund dar, wenn sie nach ihrer Art und nach ihren Wirkungen, insbesondere nach dem Umfang der von ihr ausgehenden körperlichen und geistigen Beeinträchtigungen eine Beteiligung an der Hauptverhandlung unzumutbar erscheinen lässt (OLG Bamberg NStZ-RR 2009, 150 sowie DAR 2008, 217, jeweils m.w.N).

2. Diesen Grundsätzen genügt das angefochtene Urteil nicht.

a) Nach den Feststellungen des Tatrichters hat die Betroffene am 01.12.2009, am Tag vor der Hauptverhandlung, ein ärztliches Attest von diesem Tage vorgelegt, nachdem sie an einem hochfieberhaften akuten Atemwegsinfekt leidet. Weiterhin hat der Tatrichter festgestellt, dass der Ehegatte der Betroffenen am 02.12.2009 gegen 11.00 Uhr, angetroffen an der gemeinschaftlichen Wohnung, gegenüber dem vom Tatrichter beauftragten Landgerichtsarzt des Landgerichts München I angegeben hat, diese halte sich derzeit nicht in der Wohnung auf, sie sei zum Arzt gegangen bzw. gefahren, Namen und Anschrift dieses Arztes könne er nicht nennen, er könne die Betroffene derzeit auch nicht erreichen. Außerdem, so die weitere Begründung, habe die Betroffene bzw. die Verteidigung die ladungsfähige Anschrift einer der benannten Eventualfahrerinnen im Ausland trotz langfristiger Kenntnis des Hauptverhandlungstermins nur eine Woche vor diesem Termin bekannt gegeben.

b) Diese im Wege des Freibeweises getroffenen Feststellungen, an die das Rechtsbeschwerdegericht gebunden ist, erlauben auch unter Berücksichtigung des dem Tatrichter zur Verfügung stehenden Beurteilungsspielraums (BGHSt 28, 384/387) nicht den Schluss auf eine ungenügende Entschuldigung.

Da ein Betroffener lediglich gehalten ist, vor der Hauptverhandlung einen schlüssigen Entschuldigungsgrund vorzutragen, nicht aber auch diesen glaubhaft zu machen oder gar nachzuweisen (OLG Bamberg NStZ-RR 2009,150 sowie DAR 2008, 217 = OLGSt StPO § 329 Nr. 29, jeweils m.w.N.), ist die Vorlage eines entsprechenden ärztlichen Attests grundsätzlich als genügende Entschuldigung anzusehen (Rebmann/Roth/Herrmann Rn. 15 m.w.N.), es sei denn, dessen Unglaubwürdigkeit oder Unbrauchbarkeit steht fest (OLG Frankfurt NJW 1988, 2965; Göhler § 74 Rn. 29). Die...

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