Entscheidungsstichwort (Thema)
Bußgeldverfahren. Rechtsbeschwerde. Abstand. Abstandsunterschreitung. Beobachtungsstrecke. Verfahrensrüge. Aufklärungspflicht. Beweisantrag. Beweisermittlungsantrag. Beweisanregung. Beweistatsache. Beweisziel. Beweisthema. Beweisbehauptung. standardisiertes Messverfahren. Messbeamter. Messgerät. VKS. Physikalisch-Technische Bundesanstalt. PTB. Sachverständigenbeweis. faires Verfahren. fair-trial-Prinzip. Fairnessgebot. Auffangrecht. Gehör. Gehörsverletzung. Akten. Aktenbegriff. Akteneinsicht. Beweisstück. Zirkelschluss. Lebensakte. Gerätestammkarte. Schulungsnachweis. Waffengleichheit. Divergenzvorlage. Grundsätzlich keine Verletzung des fairen Verfahrens bei verweigerter Beiziehung von nicht bei den Bußgeldakten befindlicher potentieller Beweisunterlagen. Mindestanforderungen an Beweisantrag auf Erholung eines messtechnischen Sachverständigengutachtens
Leitsatz (amtlich)
1. Die Ablehnung eines Antrags auf Beiziehung von nicht bei den Akten befindlichen Unterlagen (etwa Lebensakte eines Abstands- und Geschwindigkeitsmessgeräts) verletzt nicht den Grundsatz des fairen Verfahrens (Art. 20 Abs. 3 GG, Art. 6 Abs. 1 EMRK); vielmehr handelt es sich um einen Beweisermittlungsantrag, dessen Ablehnung nur unter Aufklärungsgesichtspunkten (§ 244 Abs. 2 StPO) gerügt werden kann (Anschluss an BVerfG, Beschl. v. 12.01.1983 - 2 BvR 864/81 = BVerfGE 63, 45 = NJW 1983, 1043 = StV 1983, 177 = NStZ 1983, 273 = MDR 1983, 548 = EuGRZ 1983, 196; BGH, Urt. v. 26.05.1981 - 1 StR 48/81 = BGHSt 30, 131 = NJW 1981, 2267 = NStZ 1981, 361 = StV 1981, 500 = MDR 1981, 860 ; Beschl. v. 28.03.2017 - 4 StR 614/16 [bei [...]]; entgegen: OLG Oldenburg, Beschl. v. 13.03.2017 - 2 Ss [OWi] 40/17 = ZfS 2017, 469 = NZV 2017, 392; Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschl. v. 08.09.2016 - 53 Ss-OWi 343/16 = StraFo 2017, 31 = VM 2017 Nr. 4; Thüringer Oberlandesgericht, Beschl. vom 01.03.2016 - 2 OLG 101 Ss Rs 131/15 = NJW 2016, 1457 = NStZ-RR 2016, 186 = DAR 2016, 399 = NJ 2016, 468).
2. Ein Antrag, der auf die Einholung eines Sachverständigengutachtens zum Beweis der Behauptung gerichtet ist, dass die dem vorgeworfenen Abstandsverstoß zu Grunde liegende "Messung nicht ordnungsgemäß" sei und dass die "Vorgaben der PTB nicht eingehalten" worden seien, stellt mangels hinreichend bestimmter Tatsachenbehauptung keinen Beweisantrag i.S.d. §§ 244 Abs. 3 StPO, 77 Abs. 2 OWiG dar.
3. Die bei einem Abstandsverstoß zu beachtende "Beobachtungsstrecke" soll gewährleisten, dass der Verstoß auch vorwerfbar begangen wurde, was etwa bei einem plötzlichen Abbremsen oder einem unerwarteten Spurwechsel durch den Vordermann fraglich sein könnte. Aus diesem Grund muss die Beobachtungsstrecke nicht exakt 300 m betragen (Aufrechterhaltung OLG Bamberg, Beschluss vom 25.02.2015 - 3 Ss OWi 160/15 = NJW 2015, 1320 = NZV 2015, 309 = ACE-Verkehrsjurist 2015, Nr. 2, 10 = DAR 2015, 396).
Normenkette
GG Art. 20 Abs. 3; EMRK Art. 6; StPO §§ 147, 240 Abs. 2; OWiG § 77 Abs. 1, 2 Nr. 1, § 78 Abs. 1, § 79 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, Abs. 5 S. 1, § 80a; GVG § 121 Abs. 2 Nr. 1; StVG § 25 Abs. 1 S. 1 Alt. 1; StVO § 4 Abs. 1 S. 1; BKatV § 4 Abs. 1 S. 1 Nr. 2; BKat Nr. 12.6.3; MessEG § 31 Abs. 2 Nr. 4; GG Art. 103 Abs. 1; StPO § 244 Abs. 2, § 249 Abs. 2, § 344 Abs. 2 S. 2; StVG § 25 Abs. 2a S. 1
Tatbestand
Das AG hat den Betr. am 02.05.2017 wegen fahrlässiger Nichteinhaltung des Mindestabstandes zu einem vorausfahrenden Fahrzeug (§ 4 I 1 StVO) zu einer Geldbuße von 200 Euro verurteilt und gegen ihn wegen eines groben Pflichtenverstoßes i.S.d. §§ 25 I 1 1. Alt. i.V.m. § 4 I 1 Nr. 2 BKatV i.V.m. lfd.Nr. 12.6.3 der Tab. 2 zum BKat ein Regelfahrverbot für die Dauer eines Monats nach Maßgabe des § 25 IIa 1 StVG angeordnet. Nach den Feststellungen befuhr der Betr. am 21.06.2016 um 12.01 Uhr mit einem Pkw eine Bundesautobahn, wobei er bei einer Geschwindigkeit von 122 km/h aus Unachtsamkeit lediglich einen Abstand von 15 Metern zum vorausfahrenden Fahrzeug und damit weniger als 3/10 des halben Tachowerts einhielt. Der Verstoß wurde mit dem Abstands- und Geschwindigkeitskontrollmessgerät VKS 3.0 festgestellt. Mit seiner gegen dieses Urteil gerichteten Rechtsbeschwerde rügt der Betr. die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Die GenStA hat beantragt, die Rechtsbeschwerde als unbegründet zu verwerfen. Die hierzu abgegebene Gegenerklärung des Verteidigers des Betr. lag dem Senat vor. Das Rechtsmittel blieb erfolglos.
Entscheidungsgründe
I. Die Nachprüfung des Urteils aufgrund der nach § 79 I 1 Nr. 2 OWiG statthaften, auch im Übrigen zulässigen und vom Einzelrichter gemäß § 80a III 1 i.V.m. I OWiG dem Bußgeldsenat in der Besetzung mit 3 Richtern zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung übertragenen Rechtsbeschwerde weist keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Betr. auf (§ 79 III 1 OWiG i.V.m. § 349 II StPO).
1. Die Verfahrensrügen dringen nicht durch.
a) Die Rüge, mit der die Ablehnung des Antrags auf Einholung eines messtechnischen Sachverständigengutachtens zum Beweis de...