Entscheidungsstichwort (Thema)
Wiederaufnahme wegen Konventionsverstoßes bei nachträglicher Sicherungsverwahrung
Leitsatz (amtlich)
Die auf § 359 Nr. 6 StPO gestützte Wiederaufnahme zugunsten eines Verurteilten, gegen den nachträgliche Sicherungsverwahrung im Urteilswege angeordnet wurde, setzt voraus, dass das zu beseitigende Urteil gerade auf der von dem Verurteilten erwirkten Feststellung der Konventionsverletzung (hier: Verstoß gegen Art. 5 I Buchst. e EMRK) durch den EGMR beruht. Der für die Beruhensprüfung im Rahmen des § 359 Nr. 6 StPO anzulegende rechtliche Maßstab entspricht im Übrigen vollständig demjenigen des in § 337 I StPO für Gesetzesverletzungen im Revisionsverfahren.
Normenkette
GG Art. 25, 103 Abs. 2; EMRK Art. 5 Abs. 1 Buchst. e, Art. 50; BVerfGG § 31 Abs. 1, § 79 Abs. 1, § 95 Abs. 2; ThUG § 1 Abs. 1 Nr. 1; StGB § 67 e; StPO § 337 Abs. 1, § 359 Nr. 6, § 360 Abs. 2, § 372 S. 1
Tatbestand
Wegen Vergewaltigung mit Waffen verurteilte das LG A. den Verurteilten im Februar 2000 zur einer Freiheitsstrafe von 9 Jahren, die er bis Juli 2008 voll verbüßte. Danach befand sich der Verurteilte in vorläufiger Unterbringung in der Sicherungsverwahrung aufgrund Beschlusses des LG A. vom 02.07.2008. Mit Urteil vom 08.10.2008 ordnete das LG A. gegen den Verurteilten nachträgliche Sicherungsverwahrung an, die derzeit vollzogen wird. Die dagegen eingelegte Revision des Verurteilten hat der BGH im März 2009 als unbegründet verworfen. Die Verfassungsbeschwerde des Verurteilten hat das BVerfG mit Beschluss vom Mai 2009 nicht zur Entscheidung angenommen. Mit Urteil vom 19.04.2012 stellte der EGMR auf Individualbeschwerde des Verurteilten fest, dass Art. 5 I EMRK verletzt worden ist, und sprach ihm eine Entschädigung zu. Mit Beschluss vom 31.01.2013 hat die Große Strafkammer des LG E. als Wiederaufnahmegericht den Antrag des Verurteilten verworfen, die Wiederaufnahme des dem Urteil vom 08.10.2008 zugrunde liegenden Verfahrens mit dem Ziel der Aufhebung dieses Urteils auf Grund des Urteils des EGMR vom 19.04.2012 sowie aufgrund der Urteile des Gerichtshofs in weiteren Verfahren, an denen der Verurteilte nicht als Bf. beteiligt war, anzuordnen. Ebenso hat sie den Antrag auf Unterbrechung der Vollstreckung zurückgewiesen. Die hiergegen fristgerecht eingelegte (sofortige) Beschwerde des Verurteilten blieb ohne Erfolg.
Entscheidungsgründe
Die sofortige Beschwerde ist gemäß §§ 372 S. 1 StPO statthaft und in zulässiger Art und Weise eingelegt (§§ 306 Abs. 1, 311 StPO). Sie erweist sich jedoch als unbegründet.
A. Zu Recht hat das LG den auf § 359 Nr. 6 StPO gestützten Wiederaufnahmeantrag des Verurteilten als unzulässig verworfen, weil zum einen die nicht vom Verurteilten erstrittenen Entscheidungen des EGMR vom 17.12.2008 und 13.01.2011 kein Wiederaufnahmerecht des Verurteilten begründen, und weil zum anderen das verfahrensgegenständliche Urteil nicht auf der vom EGMR festgestellten Konventionsverletzung beruht.
1. Soweit die Verwerfung als unzulässig sich auf die nicht vom Verurteilten erstrittenen Entscheidungen des EGMR vom 17.12.2008 und 13.01.2011 bezieht, schließt sich der Senat ausdrücklich der Begründung der angefochtenen Entscheidung an und verzichtet insoweit auf eigene Ausführungen, da er den Ausführungen des LG nichts hinzuzufügen hat. Der Senat folgt insoweit der weitaus herrschenden Meinung. Zu den Ausführungen im Schriftsatz vom 27.02.2013 ist zum einen anzumerken, dass die Wirkungen eines Piloturteilsverfahrens des EGMR sich ebenfalls nur auf dort anhängige Parallelverfahren erstrecken, und zum anderen, dass der Grundsatz der völkerrechtsfreundlichen Auslegung es nicht gebietet, es dem Betr. zu ersparen, selbst den Rechtsweg über den EGMR zu beschreiten. Gegen die erweiterte Auslegung von § 359 Nr. 6 StPO spricht der eindeutige Wille des Gesetzgebers, wie er sich aus BT-Drs. 13/10333 ergibt; dort hat sich der Gesetzgeber in Kenntnis der von der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gewünschten Erstreckung auf alle EGMR-Entscheidungen bewusst für eine Beschränkung auf Entscheidungen inter partes entschieden. Zudem hatte das BVerfG (NJW 1986, 1425, 1426f.) bereits zuvor zum früheren Rechtszustand entschieden, dass eine erweiterte Auslegung der Wiederaufnahmegründe, die nach der vorherigem Rechtslage erforderlich gewesen wäre, von Verfassungs wegen - und damit auch unter dem Gesichtspunkt des aus Art. 25 GG abgeleiteten Grundsatzes der völkerrechtsfreundlichen Auslegung innerstaatlichen Rechts - nicht geboten ist. Diese Rspr. zur vorherigen Rechtslage kann aufgrund der eindeutigen Haltung des Gesetzgebers unschwer auf die jetzige Vorschrift des § 359 Nr. 6 StPO übertragen werden.
2. Nach § 359 Nr. 6 StPO liegt ein Wiederaufnahmegrund nur vor, wenn der EGMR im Falle des Verurteilten eine Verletzung der EKMR oder ihrer Protokolle festgestellt hat und das Urteil auf dieser Verletzung beruht. Der Wiederaufnahmegrund des § 359 Nr. 6 StPO steht damit ebenso wie der durch § 79 I BVerfGG normierte Wiederaufnahmegrund außerhalb de...