Entscheidungsstichwort (Thema)

Voraussetzungen der Zurückverweisung gem. § 69 Abs. 1 Satz 2 FamFG und der Bestellung eines Verfahrensbeistandes in Fällen des § 112 BGB

 

Leitsatz (amtlich)

1. Nach zutreffender Ansicht liegt ein Fall des § 69 Abs. 1 Satz 2 FamFG stets dann vor, wenn in der ersten Instanz ein notwendig zu Beteiligender nicht beteiligt wurde.

2. Für das betroffene Kind ist gemäß § 158 Abs. 3 Nr. 1 FamFG ein Verfahrensbeistand zu bestellen, wenn das Interesse des Kindes in erheblichem Gegensatz zu dem Interesse seiner gesetzlichen Vertreter steht.

3. Steuerrechtliche Angelegenheiten der Eltern - wie hier die steuerrechtliche Anerkennung einer Photovoltaikanlage an den 12-jährigen Sohn - sind für das Kind regelmäßig nicht von Belang und damit auch nicht Maßstab für eigene Entscheidungen.

4. Dass sich für das Kind später ein Rechtsanwalt anzeigte, lässt die Erforderlichkeit der Bestellung eines Verfahrensbeistandes nicht entfallen. Denn weil ein Rechtsanwalt Willensvertreter ist, besteht die Gefahr, dass er bei Beauftragung durch die Eltern nicht zuallererst das Kindeswohl im Blick hat, sondern als weisungsgebundener Interessensvertreter seiner Mandanten vorrangig deren Willen.

 

Normenkette

BGB § 112; FamFG § 69 Abs. 1 Sätze 2, 4, § 151 Nr. 1, § 158 Abs. 3 Nr. 1

 

Verfahrensgang

AG Schweinfurt (Aktenzeichen 53 F 134/22)

 

Tenor

1. Auf die Beschwerde des Betroffenen wird der Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Schweinfurt vom 26.05.2023 aufgehoben.

2. Das Verfahren wird zur weiteren Behandlung und Entscheidung an das Amtsgericht zurückverwiesen.

3. Gerichtskosten für das Beschwerdeverfahren werden nicht erhoben. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

4. Der Wert für das Beschwerdeverfahren wird auf 5.000 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Mit Schreiben vom 15.12.2022 beantragten die Eltern V. und M. beim Familiengericht die Genehmigung für den Betrieb einer Photovoltaik-Anlage durch ihren damals 12 Jahre alten Sohn K.

Die Eltern erklärten, sie hätten die Anlage, die auf ihrem Wohnhaus installiert und seit 2008 in Betrieb ist, auf ihren Sohn überschrieben, da er ihr einziger Sohn sei und auch das Wohnhaus bekommen werde. Der Strom aus der Anlage werde verkauft.

Das Familiengericht ließ sich vom Betroffenen einen Businessplan vorlegen sowie die beiden letzten Schulzeugnisse. Zudem wurde eine schriftliche Stellungnahme des Leiters der Schule ... erholt. Am 15.05.2023 wurde schließlich das Kind angehört.

Mit Beschluss vom 26.05.2023 wurde die beantragte Genehmigung versagt und zur Begründung unter anderem ausgeführt:

Nach der erfolgten Anhörung und unter Berücksichtigung der Umstände kommt das Gericht zu der Überzeugung, dass das Kind zwar eine altersgerechte Auffassung über Solaranlagen hat, jedoch nicht einmal annähernd das bei einem Volljährigen zu Grunde zu legende allgemeine Wissen über das Wesen, den Betrieb und die unternehmerischen Risiken einer solchen Anlage. Nach Ansicht des Gerichts erfasst das Kind die rechtlichen, steuerrechtlichen und Buchführungs-Fragen jedenfalls bisher überhaupt nicht. Es bestehen nach eingehender Prüfung aller Umstände keine Anhaltspunkte dafür, dass der Minderjährige die Reife und die erforderlichen Eigenschaften, Kenntnisse und Fähigkeiten hat, den selbstständigen Betrieb des beabsichtigten Erwerbsgeschäftes zu führen und somit in der Lage ist, die mit dem Geschäft verbundene Verantwortung und Verpflichtung dritten Personen und der Allgemeinheit gegenüber zu erfüllen.

Gegen diese ihm am 31.05.2023 zugestellte Entscheidung legte der Betroffene mit am 09.06.2023 beim Familiengericht eingegangenem Schriftsatz Beschwerde ein.

Das Familiengericht half der Beschwerde mit Beschluss vom 21.07.2023 nicht ab und legte die Sache dem Oberlandesgericht zur Entscheidung vor.

II. Die nach §§ 58 ff FamFG zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde des Betroffenen ist (vorläufig) begründet und führt zur Aufhebung der am 26.05.2023 getroffenen Entscheidung.

Das Verfahren wird nach § 69 Abs. 1 Satz 2 FamFG zur weiteren Behandlung und Entscheidung an das Amtsgericht zurückverwiesen. Bislang hat das Familiengericht in der Sache noch nicht entschieden.

Der Senat hat von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor dem Beschwerdegericht abgesehen, weil dadurch für die im Beschwerdeverfahren zu treffende Entscheidung keine zusätzlichen Erkenntnisse zu erwarten waren (§ 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG).

1) Nach zutreffender Ansicht liegt ein Fall des § 69 Abs. 1 Satz 2 FamFG stets dann vor, wenn in der ersten Instanz ein notwendig zu beteiligender Verfahrensbeteiligter nicht beteiligt wurde (Seiler in Thomas / Putzo, ZPO, 44. Auflage, 2023, FamFG § 69 Rn. 7; Sternal in Sternal, FamFG, 21. Auflage, 2023, § 69 Rn. 19).

Gegenstand des Verfahrens ist eine Kindschaftssache im Sinn des § 151 Nr. 1 FamFG, die die Person des Kindes betrifft (Schäder in Sternal, a.a.O., § 151 Rn. 6 und § 158 Rn. 5). Der Anwendungsbereich des § 158 FamFG ist damit eröffnet.

Im Hinblick auf das Vorbringen der ...

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