Leitsatz (amtlich)
1. Der Erstausbildung eines 45-jährigen Unterhaltspflichtigen, der seit vielen Jahren als ungelernte Kraft arbeitet, ist gegenüber der gesteigerten Unterhaltspflicht aus § 1603 Abs. 2 S. 1 BGB kein Vorrang einzuräumen.
2. Soweit es um den gesetzlichen Mindestunterhalt geht, sind bei den Umgangskosten allein die tatsächlich anfallenden Benzinkosten zu berücksichtigen.
Normenkette
BGB §§ 1601, 1603 Abs. 2
Verfahrensgang
AG Bad Kissingen (Aktenzeichen 002 F 185/21) |
Tenor
1. Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Endbeschluss des Amtsgerichts Bad Kissingen vom 04.08.2021 (berichtigt durch Beschluss vom 30.08.2021) abgeändert wie folgt: Der Antragsgegner wird verpflichtet, an den Antragsteller zu 1 laufenden Kindesunterhalt zu bezahlen für die Zeit ab 01.01.2022 in Höhe von 165 EUR. Der Antragsgegner wird verpflichtet, an den Antragsteller zu 1 rückständigen Kindesunterhalt zu bezahlen für die Zeit vom 01.03.2021 bis 31.12.2021 in Höhe von 1.575 EUR.
Der Antragsgegner wird verpflichtet, an den Antragsteller zu 2 laufenden Kindesunterhalt zu bezahlen für die Zeit ab 01.01.2022 in Höhe von 135 EUR. Der Antragsgegner wird verpflichtet, an den Antragsteller zu 2 rückständigen Kindesunterhalt zu bezahlen für die Zeit vom 01.03.2021 bis 31.12.2021 in Höhe von 1.425 EUR. Im Übrigen wird der Antrag abgewiesen.
2. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
3. Die Kosten des Verfahrens werden gegeneinander aufgehoben.
4. Der Wert für das Beschwerdeverfahren wird auf 8.879 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Die Antragsteller sind die Söhne des Antragsgegners. Beide Kinder verfügen über kein eigenes Einkommen und kein Vermögen. Sie leben im Haushalt ihrer Mutter. Diese erhält das staatliche Kindergeld.
Im vorliegenden Verfahren verlangten sie mit Antragsschrift vom 19.04.2021 Kindesunterhalt in Höhe des jeweiligen gesetzlichen Mindestunterhalts der jeweiligen Altersstufe abzüglich des jeweils hälftigen staatlichen Kindergelds für die Zeit ab 01.03.2021.
Zu jener Zeit arbeitete der Antragsgegner, der über keine Berufsausbildung verfügt, für die Leiharbeitsfirma ... . Eingesetzt war er bei der Firma ... in ... . Im März 2021 verdiente er bei 161 Stunden netto 1.291,61 EUR.
Der Antragsgegner beantragte Antragsabweisung mit der Begründung, er sei in Höhe des Mindestunterhalts nicht leistungsfähig. Mit seiner derzeitigen Tätigkeit erfülle er seine Erwerbsobliegenheit. Eine weitergehende Tätigkeit sei ihm aus medizinischen Gründen nicht zuzumuten. Zudem seien Aufwendungen für Fahrten zur Arbeitsstätte (Entfernung: 26 Kilometer) und erhöhte Aufwendungen für die Wahrnehmung seines Umgangsrechtes (Fahrstrecke einfach: 68 Kilometer) in voller Höhe vom Einkommen abzuziehen.
Mit Endbeschluss vom 04.08.2021 verpflichtete das Familiengericht den Antragsgegner antragsgemäß zur Zahlung von Kindesunterhalt und führte zur Begründung unter anderem aus:
Der Antragsgegner ist gemäß § 1601 BGB zum Unterhalt verpflichtet. Die Höhe des Unterhalts richtet sich nach § 1612 a BGB. Von den Antragstellern wird lediglich der Mindestunterhalt geltend gemacht. Weil deswegen die Leistungsfähigkeit in entsprechender Höhe vermutet wird, obliege es dem Antragsgegner, seine Leistungsunfähigkeit unter besonderer Berücksichtigung der ihn treffenden gesteigerten Erwerbsobliegenheit darzulegen und zu beweisen. Dem ist der Antragsgegner vorliegend nicht annähernd nachgekommen. Seine Ausführungen beschränken sich lediglich auf die Behauptung, dass die von ihm tatsächlich ausgeübte Tätigkeit nicht ausreichend sei, um den Mindestunterhalt zahlen zu können. Der Antragsgegner lässt völlig offen, was er unternommen hat, um eine besser bezahlte Arbeitsstelle zu finden. Berücksichtigt werden muss, dass er alles in seiner Macht stehende tun muss, um im Rahmen der gesetzlichen Möglichkeiten maximale Leistungsfähigkeit bis zur Höhe des Mindestunterhalts zu erreichen. Der Antragsgegner wäre gehalten, eine Tätigkeit aufzunehmen, im Rahmen derer er zumindest im Rahmen des gesetzlich zulässigen, gegebenenfalls durch Aufnahme einer weiteren Nebentätigkeit von bis zu 48 Stunden arbeitet, bei entsprechender Entlohnung. Auch seine Ausführungen zu etwaigen medizinischen Gründen sind unzureichend. Der Antragsgegner hätte substantiiert darlegen müssen, aufgrund welcher medizinischen Einschränkungen er nicht in der Lage ist, eine weitergehende Berufstätigkeit auszuüben. Erst im Weiteren wäre dann zu prüfen gewesen, inwieweit berufsbedingte Aufwendungen und übermäßige Umgangskosten einkommensmindernd zu berücksichtigen sind.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gründe der Entscheidung vom 04.08.2021 verwiesen.
Dem Antragsgegner wurde diese Entscheidung am 11.08.2021 zugestellt. Mit am 07.09.2021 eingegangenem Schriftsatz beantragte er Verfahrenskostenhilfe für eine von ihm beabsichtigte Beschwerde gegen die vom Amtsgericht getroffene Entscheidung, mit der er seinen in erster Instanz gestellten Antrag weiter verfolgen wollte.
Nach Bewilligung von Verfahrenskostenhilf...