Entscheidungsstichwort (Thema)
Einfluss von A 1-Entsendebescheinigungen auf illegale Arbeitnehmerüberlassung
Leitsatz (amtlich)
Die Bindungswirkung unionsrechtlich erteilter A 1-Entsendebescheinigungen (bzw. früherer E 101-Entsendebescheinigungen) steht der bußgeldrechtlichen Ahndung unerlaubter Arbeitnehmerüberlassungen nach § 16 I Nr. 1 AÜG nicht entgegen.
Normenkette
AÜG §§ 1, 9 Nr. 1; StPO §§ 437, 444 Abs. 2 S. 2; OWiG § 17 Abs. 2, § 80a Abs. 2 S. 1; EGV 883/2004 Art. 3, 11 Abs. 3 Buchst. a); EGV 987/2009 Art. 1 Abs. 1 Buchst. a), Buchst. b); AÜG § 10 Abs. 1 S. 1, § 16 Abs. 1 Nr. 1; OWiG §§ 30-31, 33 Abs. 3 S. 2, §§ 72, 79; EGV 883/2004 Art. 12 Abs. 1, Art. 13; EGV 987/2009 Art. 5 Abs. 1
Tatbestand
Das AG hat den Betr. als Geschäftsführer und die nach § 30 OWiG Nebenbeteiligte, eine Gesellschaft nach polnischem Recht, im Beschlussverfahren nach § 72 OWiG von dem jeweils gegen sie mit Bußgeldbescheiden vom 01.09.2014 erhobenen und mit Geldbußen in Höhe von 2.000 Euro (Betroffener) und in Höhe von 20.000 Euro (Nebenbeteiligte) geahndeten Tatvorwurf der fahrlässigen Ordnungswidrigkeit nach § 16 I Nr. 1 AÜG aus rechtlichen Gründen freigesprochen. Zur Begründung hat das AG im Wesentlichen darauf abgestellt, dass aufgrund vorliegender Entsendebescheinigungen "A 1" die Bestimmungen der §§ 9 Nr. 1, 10 I 1, 16 I Nr. 1 AÜG nicht einschlägig seien. Die sozialrechtliche und arbeitsrechtliche Bindungswirkung dieser Bescheinigungen bestätige das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses für den Zeitraum der Entsendung mit dem Verleiher. Nachdem der sozialrechtliche Arbeitgeberbegriff identisch mit dem strafrechtlichen sei, könne kein Arbeitsverhältnis zwischen den Entleihern und den entsendeten Arbeitnehmern entgegen der Bindungswirkung der A 1-Bescheinigung begründet werden. Vielmehr sei dadurch das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses zum Verleiher für die inländischen Gerichte bindend festgestellt worden. Die gegen den freisprechenden Beschluss geführte Rechtsbeschwerde der StA, mit der sie die Verletzung materiellen Rechts rügt, erwies sich als erfolgreich.
Entscheidungsgründe
I. Die gemäß § 79 I 1 Nr. 3 OWiG und hinsichtlich der Nebenbeteiligten nach den §§ 79 I 1 Nr. 3, 71 I, 46 I OWiG i.V.m. §§ 444 II 2, 437 I bis 3 StPO statthafte und auch sonst zulässige Rechtsbeschwerde ist begründet und führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses. Der Zulässigkeit der Rechtsbeschwerde steht - entgegen der von der Verteidigung geäußerten Ansicht - nicht entgegen, dass die StA dem Beschlussverfahren nicht widersprochen und für diesen Fall auf Gründe verzichtet hat. Ein Verzicht auf die Begründung einer Entscheidung stellt keinen - ohnehin im Vorfeld nicht zulässigen - Verzicht (vgl. hierzu BGH, Urt. v. 28.08.1997 - 4 StR 240/97 = BGHSt 43, 195 = StV 1997, 583 = StraFo 1997, 312 = NJW 1998, 86 = wistra 1997, 341 = NStZ 1998, 31= JR 1998, 245; Meyer-Goßner/Schmitt StPO 59. Aufl. § 302 Rn. 14) auf das statthafte Rechtsmittel dar.
II. Der Freispruch kann schon deswegen keinen Bestand haben, weil die Gründe der angefochtenen Entscheidung den inhaltlichen Anforderungen, die an ein freisprechendes Erkenntnis zu stellen sind, nicht genügen.
1. Erfolgt der Freispruch - wie hier - aus rechtlichen Gründen, ist es unabdingbar, dass in den Gründen des freisprechenden Erkenntnisses gemäß § 72 V 1 OWiG die vom Tatgericht für erwiesen erachteten Tatsachen in geschlossener Form bezeichnet werden, weil dem Rechtsbeschwerdegericht anderenfalls eine auf den konkreten Tatvorwurf zugeschnittene und von diesem abhängige Nachprüfung der den Freispruch tragenden Begründung auf etwaige rechtsfehlerhafte Erwägungen hin von vornherein verwehrt ist (vgl. nur BGH, Urt. v. 05.08.1997 - 5 StR 210/97 = NStZ-RR 1997, 374 = StraFo 1997, 302; Meyer-Goßner/Schmitt § 267 Rn. 34; KK/Kuckein StPO 7. Aufl. § 267 Rn. 42, jeweils m.w.N.).
2. Diesen Mindestanforderungen wird der angefochtene Beschluss nicht gerecht. Es fehlt an konkreten Feststellungen zum Tatgeschehen, insbesondere bleibt gänzlich unklar, ob die für die Beurteilung des Vorwurfs relevante Ausgestaltung der vertraglichen Beziehungen die Einschätzung eines bußgeldbewehrten Verstoßes gegen das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz zulässt oder nicht. Die unterbliebene Darstellung kann auch nicht durch die vom AG ausgesprochene Bezugnahme auf die Bußgeldbescheide ersetzt werden. Denn zum einen hat die Bezugnahme zur Folge, dass die Entscheidung aus sich heraus nicht mehr verständlich ist. Zum anderen wird in den Bußgeldbescheiden nur der Sachverhalt, der den Betr. zur Last gelegt wird, wiedergegeben. Entscheidend für die Überprüfung der angefochtenen Entscheidung ist aber - wie bereits erwähnt - das Tatgeschehen, das der Tatrichter für erwiesen erachtet hat.
3. Entgegen der Ansicht der Verteidigung ist dieser Begründungsmangel nicht etwa deshalb unbeachtlich, weil die StA im Vorfeld auf eine Begründung verzichtet hatte. Dies lässt sich ohne weiteres der Bestimmung des § 72 VI 3 OWiG entnehmen, der gerade eine Begründungsp...