Entscheidungsstichwort (Thema)
Amtsermittlungspflicht zum Flüchtlingsstatus und zur Unerreichbarkeit der Kindseltern
Leitsatz (amtlich)
1. Das Mündel muss persönlich angehört werden (). Das Alter und ggfs. der Flüchtlingsstatus sind von Amts wegen umfassend aufzuklären. Sollte die notwendige Aufklärung mit sonstigen Mitteln nicht möglich sein, so kommt ein forensisches Gutachten in Betracht.
2. Es ist auch zu prüfen, ob die Eltern des Mündels in Syrien tatsächlich nicht erreichbar sind. Insoweit sind Feststellungen zu treffen, ob das Sorgerecht im konkreten Einzelfall gleichwohl unter Nutzung moderner Kommunikationsmittel möglich ist oder ob die tatsächlichen konkreten Hindernisse eine Kommunikation der Eltern für Sorgerechtsentscheidungen unmöglich machen. Auf die dem Amtsgericht bekannten anderen Fälle kommt es dabei nicht an, sondern auf die tatsächliche konkrete Kommunikationsmöglichkeit der Eltern im konkreten Einzelfall.
Normenkette
BGB § 1674; FamFG §§ 26, 159 Abs. 1
Verfahrensgang
AG Würzburg (Aktenzeichen 2 F 2116/21) |
Tenor
1. Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Würzburg vom 28.12.2021 aufgehoben.
2. Das Verfahren wird zur weiteren Behandlung und Entscheidung an das Amtsgericht zurückverwiesen.
3. Gerichtskosten für das Beschwerdeverfahren werden nicht erhoben. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
4. Der Wert für das Beschwerdeverfahren wird auf 4.000 Euro festgesetzt.
5. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Mit Antrag zur Niederschrift beim Rechtspfleger des Amtsgerichts Würzburg vom 27.12.2021 beantragte der Antragsteller B. für das Kind (im Folgenden Mündel) B. die Anordnung der gerichtlichen Vormundschaft. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass die Eltern sich in Syrien aufhalten würden. Der genaue Aufenthaltsort sei unbekannt, sie würden aber in einem Dorf in der Nähe von A. wohnen. Aufgrund der dortigen Verhältnisse müsste auch immer wieder der Aufenthaltsort gewechselt werden. Das Kind B. sei am 16.12.2021 nach Deutschland eingereist und wohne seitdem beim Antragsteller. Mit den Eltern könne per Handy fernmündlich Kontakt aufgenommen werden. Die Eltern hätten den Antragsteller gebeten, dass er sich um das Kind kümmere, bis sie selbst wieder für es sorgen könnten. Es seien auch zahlreiche Angelegenheiten zu regeln. So sei ein Asylantrag zu stellen und der Schulbesuch zu organisieren.
Der Antragsteller legte Kontaktmöglichkeiten zur Sachbearbeiterin des Jugendamtes der Stadt Würzburg und eine Anlaufbescheinigung der Polizeiinspektion Würzburg Stadt vom 20.12.2021 vor, welche ein schwarz/weiß Lichtbild des Kindes und die Feststellung: "Geburtsdatum/-ort: ... A./Syrien" enthält. Ein in Übersetzung zugleich vorgelegter Auszug aus dem Personenstandsregister des Standesamtes Syrien vom 30.11.2021 wiederholt dieses Geburtsdatum (Bl. 4 d. A.).
Mit Beschluss des Amtsgerichts Würzburg vom 28.12.2021 wurde folgende Entscheidung getroffen:
1. Die Anordnung der Vormundschaft für B., geb. ... wird abgelehnt.
2. Die Kosten des Verfahrens trägt der Antragsteller.
Zur Begründung führt das Amtsgericht Würzburg aus, dass die Angaben im Antrag nicht der Wahrheit entsprechen können. Ausweislich des mit dem Antrag vorgelegten Bildes stehe fest, dass das angegebene Geburtsdatum niemals stimmen könne. Bereits das vorhandene Bild ließe ohne weitere Nachermittlungen erkennen, dass das Kind deutlich älter als 11 Jahre sei. Nach der Erfahrung und Einschätzung des Gerichts sei dieser 18 Jahre oder sogar deutlich über 20 Jahre alt. Es komme daher eine Minderjährigkeit und damit der Wegfall der elterlichen Sorge nicht in Betracht. Zudem seien die Eltern erreichbar. Die Adresse der Eltern sei wohl deshalb nicht bekannt gegeben worden, da falsche Angaben zur Person des Kindes gemacht werden sollten. Anders wäre dies nicht erklärlich. Es sei dem Amtsgericht bekannt, dass Personen in Syrien stets erreichbar seien.
Gegen diese ihm am 30.12.2021 zugestellte Entscheidung legte der Antragsteller mit Schreiben vom 27.01.2022, eingegangen beim Amtsgericht am gleichen Tag, Beschwerde ein.
Zur Begründung führte der Antragsteller aus, dass eine ärztliche Untersuchung zur Altersbestimmung angeregt werde. Zwar sei das Geburtsdatum tatsächlich nicht korrekt, da es sich bei dem Datum um den Zeitpunkt der Eintragung des Mündels in das syrische Personenstandsregister handle. Hierbei sei es zu einer Fehleintragung gekommen. Nach der Erinnerung der Mutter des Mündels sei der Mündel im Januar ... geboren. Dies mache die Mutter auch deshalb erinnerlich fest, da im selben Jahr der Onkel der Mutter, Herr C., gestorben sei. Diesen Eintragungsfehler hätte die Familie erst später bemerkt, eine Korrektur hätte aber ca. 1.000,00 Euro gekostet, dieses Geld habe die Familie nicht zur Verfügung. Es könne zwar durchaus zutreffen, dass das Mündel älter aussehe als es dem tatsächlichen Geburtsdatum entsprechen würde. Das Mündel nehme seit 1,5 Jahren einmal monatlich eine Hormonspritze ein...