Verfahrensgang
LG Coburg (Entscheidung vom 27.07.2005; Aktenzeichen 1 KLs 101 Js 1940/04) |
Tenor
1.
Auf die Beschwerde des Angeklagten wird der Beschluss des Landgerichts xx vom 27. Juli 2005 aufgehoben.
2.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens, einschließlich der dem Angeklagten darin entstandenen notwendigen Auslagen, fallen der Staatskasse zur Last.
Gründe
I.
Am 29.04.2004 erließ der Ermittlungsrichter des Amtsgerichts ... gegen den Beschwerdeführer Haftbefehl wegen des dringenden Tatverdachts des Betrugs in 145 Fällen. Als Haftgründe wurden Flucht- und Verdunkelungsgefahr angenommen. Noch am selben Tag wurde der Haftbefehl außer Vollzug gesetzt. Dem Beschwerdeführer wurde zur Auflage gemacht, ... EUR Sicherheit zu leisten, sich einmal wöchentlich bei der für seinen Hauptwohnsitz zuständigen Polizeidienststelle zu melden, den Hauptwohnsitz nur mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft oder des zuständigen Gerichts zu wechseln und jeglichen Kontakt mit den Mitbeschuldigten ... und ... zu meiden.
Der Beschwerdeführer wurde am 27.07.2005 durch das Landgericht ... wegen Betrugs in 47 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren neun Monaten verurteilt. Mit Beschluss vom selben Tag wurde der Haftbefehl des Amtsgerichts ... vom 29.04.2004, außer Vollzug gesetzt durch Beschluss vom selben Tag, nach Maßgabe des Urteils des Landgerichts ... vom 27.07.2005 wieder in Vollzug gesetzt. Auf den Inhalt der Gründe dieses Beschlusses wird Bezug genommen.
Die Staatsanwaltschaft ... hatte eine Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren neun Monaten und weiterhin Außervollzugsetzung des Haftbefehls gegen den Angeklagten beantragt.
Mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 28.07.2005, eingegangen bei der zentralen Einlaufstelle der Justizbehörden ... am selben Tag, ließ der Angeklagte Beschwerde gegen die Wiederinvollzugsetzung des Haftbefehls einlegen. Mit weiterem Schriftsatz seines Verteidigers vom 08.08.2005, eingegangen bei der gemeinsamen Eingangsstelle der Justizbehörden in Bamberg am selben Tag, wurde die Beschwerde ergänzend begründet.
Mit Beschluss vom 29.07.2005 hat das Landgericht ... der Beschwerde nicht abgeholfen.
II.
Die Beschwerde des Angeklagten ist zulässig (§§ 304 Abs. 1, 306 Abs. 1 StPO) und hat auch in der Sache Erfolg.
Die Anordnung des Vollzugs eines Haftbefehls, der außer Vollzug gesetzt war, ist nur möglich, wenn eine der Voraussetzungen des § 116 Abs. 4 StPO vorliegt.
Der Angeklagte hat weder den ihm auferlegten Pflichten oder Beschränkungen gröblich zuwider gehandelt (§ 116 Abs. 4 Nr. 1 StPO), noch ist ersichtlich, dass er Anstalten zur Flucht trifft, auf eine ordnungsgemäße Ladung ohne genügende Entschuldigung ausgeblieben ist oder auf andere Weise gezeigt hat, dass das in ihn gesetzte Vertrauen nicht gerechtfertigt war (§ 116 Abs. 4 Nr. 2 StPO).
Bei der Überprüfung, ob der unter Auflagen ausgesetzte Haftbefehl vom 29.04.2004 in Vollzug gesetzt werden kann, könnten deshalb allenfalls neu hervorgetretene Umstände die Verhaftung erforderlich machen (§ 116 Abs. 4 Nr. 3 StPO). Neu hervorgetretene Umstände in diesem Sinn können Umstände sein, die bei Würdigung des Wesens der Aussetzung zu ihrer Versagung geführt hätten (vgl. Meyer-Goßer, StPO, 48. Aufl., § 116 RdNr. 28 mit Nachweisen aus der Rechtsprechung).
Die vom Landgericht Coburg in seinem Beschluss vom 27.07.2005 aufgeführten Umstände rechtfertigen es nicht, den Haftbefehl vom 29.04.2004 wieder in Vollzug zu setzen, weshalb der Beschluss des Landgerichts Coburg vom 27.07.2005 aufzuheben ist.
Soweit das Landgericht Ausführungen dazu macht, dass der Haftgrund der Fluchtgefahr gemäß § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO beim Angeklagten besteht, wurde dies auch in der Vergangenheit angenommen. Was die Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren neun Monaten betrifft, hat sich die Straferwartung, die dem Haftbefehl und seiner Aussetzung zu Grunde lag, allenfalls realisiert. Die Staatsanwaltschaft hatte eine wesentlich höhere Gesamtfreiheitsstrafe beantragt, ohne der Auffassung zu sein, der Haftbefehl müsse wieder in Vollzug gesetzt werden. Die gegen den Angeklagten ausgesprochene Gesamtfreiheitsstrafe des Landgerichts Coburg rechtfertigt es deswegen nicht, den Haftbefehl wieder in Vollzug zu setzen.
Soweit der landgerichtliche Beschluss vom 27.07.2005 darauf abstellt, der Angeklagte habe alles versucht, sich der Haft zu entziehen und dazu ausgeführt wird, er habe ein falsches Geständnis abgelegt und erklärt, dass er es seelisch nicht aushalte, in Haft zu kommen, führt auch dies nicht dazu, dass die Wiederinvollzugsetzung des Haftbefehls gerechtfertigt ist. Es handelt sich dabei nämlich nicht um neue Umstände i.S. des § 116 Abs. 4 Nr. 3 StPO. Richtig ist zwar, dass der Angeklagte das zunächst beim Ermittlungsrichter abgelegte Geständnis später widerrufen hat. Dieser Widerruf erfolgte jedoch schon mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 21.06.2004 und hat damals nicht zur Wiederinvollzugsetzung des Haftbefehls geführt.
Im Beschluss vom 27.07.2005 wird nicht ausgeführt, wann...