Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfahren bei Personenverwechslung in der Hauptverhandlung
Leitsatz (amtlich)
›1. Im Ordnungswidrigkeitenverfahren bestimmt der Bußgeldbescheid als Grundlage des Verfahrens vor dem AG den Betr.; dies gilt auch im Falle einer Personenverwechslung (im Anschluss an BGH, NStZ 1990, 290).
2. Hält der Tatrichter irrtümlich eine andere Person für den Betr. und verurteilt diese unter dessen Personalien, entfaltet das Urteil gegenüber dieser an sich unbeteiligten Person keine Wirkung. Gegenüber dem wahren Betr. ist es wirksam und mit dem jeweiligen Rechtsmittel anfechtbar.
3. Im Zulassungsverfahren nach § 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG ist von der StA, die das Rechtsmittel zugunsten des Betr. führt - wie von jedem Betr., der die Verletzung rechtlichen Gehörs rügt - zu verlangen, dass in der Form des § 344 Abs. 2 S. 2 StPO wie bei einer entsprechenden Verfassungsbeschwerde mitgeteilt wird, was im Falle der Anhörung des Betr. geltend gemacht worden wäre.‹
Verfahrensgang
AG Lindau (Bodensee) (Entscheidung vom 29.08.2005) |
Gründe
I. Auf Grund des Bußgeldbescheides des Landratsamtes vom 31.05.2005 lag dem Betroffenen L. zur Last, als Erziehungsberechtigter wissentlich nicht dafür gesorgt zu haben, dass sein schulpflichtiger Sohn an bestimmten Tagen von März bis Mai 2005 am Unterricht teilnahm. Wegen Verstoßes gegen Art. 119 Abs. 1 Nr. 2 des Bayerischen Gesetzes über das Erziehungs- und Unterrichtswesen setzte das Landratsamt gegen den Betroffenen eine Geldbuße in Höhe von 800 EUR fest. Hiergegen legte der Betroffene am 16.06.2005 Einspruch ein.
Zur Hauptverhandlung am 29.08.2005 erschien der Betroffene mit seiner Ehefrau, die sich neben den Dolmetscher auf die "Anklagebank" setzte, auf die Fragen zur Personalienfeststellung für ihren Ehemann, den Betroffenen, antwortete und zur Sache Angaben machte, während der Betroffene selbst im Zuhörerraum Platz nahm, so dass der Tatrichter auch wegen des scheinbar weiblichen Vornamens davon ausging, dass es sich bei dem Betroffenen um eine Frau handelte. Das Amtsgericht verurteilte daher "die Betroffene" wegen vorsätzlichen Verstoßes gegen das BayEUG zu einer Geldbuße in Höhe von 100 EUR, zahlbar in monatlichen Raten von 25 EUR.
Das schriftliche Urteil gibt im Rubrum - abgesehen von der Berufsbezeichnung "Hausfrau" - die Personalien des Betroffenen wieder.
Am 22.09.2005 beantragte die Staatsanwaltschaft die Zulassung der Rechtsbeschwerde gegen das Urteil vom 29.08.2005 zugunsten des Betroffenen; sie erstrebt die Aufhebung des Urteils und die Zurückverweisung der Sache an eine andere Abteilung des Amtsgerichts zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, hilfsweise die Feststellung, dass das Urteil weder gegen den Betroffenen noch gegen dessen Frau wirkt. Die Staatsanwaltschaft rügt die Verletzung formellen und materiellen Rechts, insbesondere zugunsten des Betroffenen die Verletzung des rechtlichen Gehörs, da der Betroffene, der sich im Zuhörerraum befunden habe, weder belehrt noch angehört worden sei.
Der Betroffene wendet sich in seiner Gegenerklärung gegen den Antrag der Staatsanwaltschaft. Er trägt vor, dass sein Anspruch auf rechtliches Gehör nicht verletzt sei, da er, "auch ohne den formal-juristischen Platz des Beschuldigten eingenommen zu haben", an dem Verfahren beteiligt gewesen sei und sich tatsächlich auch habe äußern können.
II. Der Antrag der Staatsanwaltschaft auf Zulassung der Rechtsbeschwerde zugunsten des Betroffenen ist zwar zulässig, jedoch in der Sache ohne Erfolg.
1. Das Verfahren richtet sich ausschließlich gegen den Betroffenen. Der BGH hat in seinem Beschluss vom 31.01.1990 (BGH NStZ 1990, 290) für den Fall einer Personenverwechslung ausdrücklich entschieden, dass sich die Frage, wer Angeklagter ist, allein danach bestimmt, wer nach der zugelassenen Anklage eines strafbaren Verhaltens beschuldigt wird. Übertragen auf das vorliegende Ordnungswidrigkeitenverfahren bestimmt der Bußgeldbescheid, der Grundlage des Verfahrens vor dem Amtsgericht ist, auch den Betroffenen. Der Bußgeldbescheid betrifft den Betroffenen. Bei diesem Namen handelt es sich auch um die zutreffende Bezeichnung einer existierenden Person. Verurteilt wurde tatsächlich der Betroffene, auch wenn der Tatrichter die Fehlvorstellung hatte, beim Betroffenen handele es sich um eine Frau.
2. Wie ein solcher Fall der Personenverwechslung zu behandeln ist, ist in der Literatur umstritten, wobei dort jeweils die Fallgestaltung zugrunde liegt, dass anstelle der angeklagten Person eine andere Person in der Hauptverhandlung erscheint und abgeurteilt wird, also der wahre Angeklagte gar nicht erschienen ist. Während der überwiegende Teil der Literatur die Auffassung vertritt, das verkündete Urteil wirke weder gegen die erschienene noch gegen die nicht erschienene Person (KK-Tolksdorf StPO 5. Aufl. § 230 Rn. 7; Gollwitzer in: Löwe-Rosenberg StPO 25. Aufl. § 230 Rn. 11, Anm. 34 mit weiteren Nachweisen), hält Rieß (in: Löwe-Rosenberg StPO 25. Aufl. Einl. Abschn. J Rn. 133) das Urteil zwar auch in Bezug...