Entscheidungsstichwort (Thema)
Fahrverbot. Regelfahrverbot. Ausnahme. Geschwindigkeitsüberschreitung. Überholvorgang. Beschleunigen. Einspruchsbeschränkung. Rechtsbeschwerde. Staatsanwaltschaft. Schuldspruch. Rechtsfolgenausspruch. Handlungsunwert. Erfolgsunwert. Augenblicksversagen. Voreintragung
Leitsatz (amtlich)
Von einem wegen eines groben Pflichtenverstoßes (hier: Geschwindigkeitsüberschreitung um 32 km/h) i.S.v. § 25 Abs. 1 Satz 1 [1. Alt.] StVG i.V.m. § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BKatV verwirkten Regelfahrverbot kann bei einem innerorts bei freier Gegenfahrbahn durchgeführten Überholvorgang grundsätzlich nicht abgesehen werden; das Überholen begründet in einem solchen Fall keinen Ausnahmeumstand im Sinne geringen Verschuldens. Dies gilt regelmäßig auch dann, wenn es sich bei dem Tatort um eine übersichtliche, breit ausgebaute und schnurgerade verlaufende Fahrbahn ohne Wohnbebauung oder Fußgängerverkehr handelt.
Normenkette
StVG § 25 Abs. 1 S. 1; BKatV § 4 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, Abs. 2
Tatbestand
Mit Bußgeldbescheid vom 05.07.2017 ordnete die Verwaltungsbehörde gegen den Betr. wegen einer innörtlichen Geschwindigkeitsüberschreitung um 32 km/h neben einer Geldbuße von 240 EUR ein einmonatiges Fahrverbot nach Maßgabe des § 25 IIa StVG an. Auf seinen auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkten Einspruch verurteilte das AG den Betr. am 03.11.2017 "aufgrund des im Tatbestand rechtskräftigen Bußgeldbescheides" zu einer Geldbuße in gleicher Höhe, sah jedoch von einem Fahrverbot im Wesentlichen mit der Begründung ab, einer grober Pflichtenverstoß i.S.d. § 25 I 1 StVG erfordere kumulativ das Vorliegen von zwei Elementen, nämlich objektiv eine besondere Gefährlichkeit des Verstoßes (Erfolgsunwert) und subjektiv eine gesteigert nachlässiges, leichtsinniges oder gleichgültiges Verhalten (Handlungsunwert). Vorliegend könne aus dem nur kurzfristigen Beschleunigen beim Überholen eines Busses bei vollkommen freier Fahrbahn weder auf eine gesteigerte Fahrlässigkeit noch auf eine nicht rechtstreue Gesinnung geschlossen werden kann; vielmehr habe sich der Betr. in dem Wissen, dass sich im weiteren Streckenverlauf eine kilometerlange Pass Straße mit durchgehendem Überholverbot befinde, fahrlässig zum Überholen entschlossen, wobei zu seinen Gunsten ferner zu werten sei, dass die Straße am Tatort äußerst übersichtlich und besonders breit ausgebaut und zudem schnurgerade verlaufe und sehr gut einsehbar sei. Im Übrigen weise der Tatort weder Wohnbebauung noch Fußgängerverkehr auf, weshalb nicht von einem Regelfall für ein Fahrverbot auszugehen sei. Mit ihrer hiergegen gerichteten, mit der Sachbeschwerde begründeten Rechtsbeschwerde beanstandet die StA, dass das AG von einem Fahrverbot abgesehen hat. Ihr erfolgreiches Rechtsmittel führte zur Urteilsaufhebung und Zurückverweisung der Sache an das AG.
Entscheidungsgründe
I.
Die gem. § 79 I Satz 1 Nr. 3 OWiG statthafte und auch sonst zulässige Rechtsbeschwerde der StA hat in der Sache Erfolg.
1. Aufgrund der vom Tatrichter zu Recht als wirksam gewerteten Beschränkung des Einspruchs auf den Rechtsfolgenausspruch (§ 67 II OWiG) ist nicht nur der Schuldspruch des Bußgeldbescheids vom 05.07.2017 in Rechtskraft erwachsen, sondern auch die von der Verwaltungsbehörde getroffenen Feststellungen haben Bindungswirkung entfaltet (KK/Ellbogen OWiG 5. Aufl. § 67 Rn. 58 m.w.N.). Das AG war bei seiner Entscheidung deshalb daran gebunden.
2. Aufgrund des somit feststehenden Sachverhalts [...] kam gegen den Betr. wegen grober Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers gemäß §§ 24, 25 I 1 StVG, § 4 I 1 Nr. 1 BKatV i.V.m. Nr. 11.3.6 Tab. BKat neben einer Geldbuße von 160 EUR die Anordnung eines Fahrverbots für die Dauer eines Monats als Regelfall in Betracht. Dies hat, worauf die Ausführungen im Urteil schließen lassen, das AG offenbar erkannt. Dennoch hat das AG, das die vorgesehene Regelgeldbuße von 160 EUR wegen "Voreintragungen im Fahreignungsregister", die allerdings nicht näher mitgeteilt werden (weshalb sich das Urteil insofern als lückenhaft erweist), auf 240 EUR erhöht hat, von der Verhängung eines Fahrverbots abgesehen. Soweit das AG sich auch mit einer beharrlichen Pflichtverletzung befasst und insoweit - ohne einen konkreten Bezug zum vorliegenden Fall herzustellen - § 4 II BKatV heranzieht, lässt sich dem Urteil mangels jeglicher Darstellung der Vorahndungen schon nicht entnehmen, ob die Voraussetzungen einer solchen beharrlichen Pflichtverletzung gegeben waren bzw. vom AG bejaht wurden. [...].
3. Die Erwägungen des AG zum Absehen vom Regelfahrverbot halten einer sachlich-rechtlichen Überprüfung nicht stand.
a) Zwar geht der Tatrichter zutreffend davon aus, dass auch bei Vorliegen der Voraussetzungen des Regelfalles einer groben Pflichtverletzung nicht ausnahmslos ein Fahrverbot zu verhängen ist. Vielmehr steht dem Tatrichter ein Ermessensspielraum zu, um Verstößen im Straßenverkehr mit der im Einzelfall angemessenen Sanktion zu begegnen. Denn die Frage, ob die Würdigung der Tat und der Persön...