Leitsatz (amtlich)
›Ist der Postversand in der Kanzlei eines Anwalts so organisiert, dass ein Teil der Post persönlich zur Post gebracht wird und erst dort die Freimachung erfolgt, so stellt es ein Organisationsverschulden des Anwalts dar, wenn die jeweilige Frist im Fristenkalender ohne Rücksicht darauf gelöscht wird, ob die betreffende Sendung noch rechtzeitig vor Ablauf der Postöffnungszeiten zur Aufgabe bei der Post aus der Kanzlei mitgenommen wird.‹
Verfahrensgang
AG Würzburg (Aktenzeichen 2 F 1132/98) |
Gründe
1. Der Antragsgegner legte am 4.5.2000 gegen das am 25.4.2000 zugestellte Urteil Berufung ein. Mit am 7.6.2000 zur Zustellung hinausgegebenem Schreiben teilte der Vorsitzende des Senats der Prozessbevollmächtigten des Antragsgegners mit, dass die Berufungsbegründungsfrist nicht gewahrt sei. Am 14.6.2000 ging die Berufungsbegründung zugleich mit einem Wiedereinsetzungsgesuch ein. Zur Wiedereinsetzung trägt der Antragsgegner vor: Seine Prozessbevollmächtigte habe am 2.6.2000, einem Freitag, die Berufungsbegründung erstellt. In ihrer Kanzlei sei es üblich, Postsendungen, die ein Porto von 3 DM erforderten, persönlich zur Post zu bringen und dort frankieren zu lassen. An dem fraglichen Freitag sei die mit diesem Vorgang beauftragte Kanzleiangestellte, eine Auszubildende im dritten Lehrjahr, über die Postöffnungszeiten hinaus in der Kanzlei geblieben. Sie habe deshalb den Umschlag mit der Berufungsbegründung in der Kanzlei zurückgelassen, damit die Prozessbevollmächtigte des Antragsgegners selbst am Samstag damit zur Post gehe. Diese habe sich aber in der Meinung, die Sendung sei bereits auf dem Postweg unterwegs, nicht mehr darum gekümmert. Erst am 9.6.2000 habe man die nicht abgeschickte Sendung vorgefunden. Da die fragliche Kanzleiangestellte am 5.6.2000 für eine Prüfung freigestellt war und deshalb gefehlt habe, hätte sie an diesem Tag nicht mehr darüber Aufklärung verschaffen können, dass sie die Begründung noch nicht zur Post gegeben hatte.
2. Das Rechtsmittel ist unzulässig, weil die am 5.6.2000 abgelaufene Begründungsfrist (§ 519 Abs. 2 Satz 2 ZPO) versäumt worden ist. Die Berufung ist deshalb nach der Regelung des § 519 b Abs. 2 ZPO auf Kosten des Antragsgegners zu verwerfen (§ 97 Abs. 1 ZPO). Dabei geht der Senat von dem vom Erstgericht festgesetzten Streitwert aus, soweit dessen Urteil angegriffen ist.
3. An diesem Ergebnis könnte freilich nicht festgehalten werden, wenn dem Antragsgegner antragsgemäß Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Berufungsfrist gewährt werden müsste. Dies ist jedoch nicht der Fall; denn nach seinem eigenen Vorbringen trifft seine Prozessbevollmächtigte ein Verschulden an der Fristversäumung; dieses Verschulden steht einem eigenen gleich (§ 85 Abs. 2 ZPO). Nach der ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung gehört es zu den Aufgaben eines Prozessbevollmächtigten, dafür zu sorgen, dass ein fristgebundener Schriftsatz rechtzeitig bei dem zuständigen Gericht eingeht. Hierbei ist der sicherste Weg zu wählen und dafür zu sorgen, dass Störfälle, die nicht völlig außerhalb des normalen Betriebsablaufes liegen, vermieden werden. Solche Vorkehrungen wurden hier ersichtlich nicht getroffen. Da der Postversand in der Kanzlei der Prozessbevollmächtigten des Antragsgegners offensichtlich so organisiert war, dass ein Teil der Sendungen, nämlich solche, die wegen ihres Gewichtes eine Freimachung in Höhe von 3 DM erforderten, persönlich zur Post gebracht wurden, hätte organisatorisch dafür gesorgt werden müssen, dass der Fall zweifelsfrei abgesichert worden wäre, in welchen wegen des nicht außergewöhnlichen Umstandes des Ablaufes der Öffnungszeiten des Postamtes eine Versendung nicht mehr erfolgen konnte. Dies hätte zumindest bei der von der höchstrichterlichen Rechtsprechung geforderten Ausgangskontrolle (vgl. BGH, FamRZ 1996, 1403 in ständiger Rechtsprechung) in der Weise geschehen müssen, dass die jeweilige Frist im Fristenkalender erst gelöscht worden wäre, wenn die betreffende Sendung rechtzeitig vor Ablauf der Postöffnungszeiten aus der Kanzlei zur Aufgabe bei der Post mitgenommen worden wäre. Ob darüber hinaus weitere Vorkehrungen für den Fall getroffen werden müssen, dass gleichwohl eine Aufgabe bei der Post nicht möglich gewesen wäre (Rückruf in der Kanzlei und dergleichen), kann dahinstehen. Da im vorliegenden Fall die Sendung die Kanzlei gar nicht verlassen hat, hätte ein Fristenaustrag im Kalender nicht erfolgen dürfen, bzw. hätte sichergestellt werden müssen, dass bei einem solchen Eintrag ein ihn aufhebender Zusatz eingefügt worden wäre.
Die hier maßgebliche Handlungsweise, nämlich, das Zurücklassen der Sendung durch die mit ihrer Beförderung beauftragte Angestellte irgendwo in der Kanzlei ohne jeden Hinweis auf diesen Umstand, war so grob fehlerhaft, dass hieraus schon nach dem ersten Anschein auf ein Organisationsverschulden zu schließen ist, denn ersichtlich bestand für den nicht außergewöhnlichen Fall des Aufgehaltenwerdens der für den Postv...