Entscheidungsstichwort (Thema)
Pflichtverteidigerwechsel. Entpflichtung. Vertrauensverhältnis. Fürsorgepflicht. Rechtsmittelverfahren. Verzichtserklärung. Verfahrensverzögerung. Mehrkosten. gefährlicher Körperverletzung. Beschwerde gegen die Ablehnung der Zurücknahme des bestellten und die Beiordnung eines neuen Pflichtverteidigers
Leitsatz (amtlich)
Die sich aus § 142 StPO ergebende gerichtliche Fürsorgepflicht gebietet es, dem Wunsch eines Angeklagten auf Wechsel des Pflichtverteidigers zwischen 1. und 2. Instanz unabhängig vom Vorliegen wichtiger Widerrufsgründe, insbesondere einer Störung des Vertrauensverhältnisses, auch dann zu entsprechen, wenn der bisherige Pflichtverteidiger damit einverstanden ist und durch die Beiordnung des neuen Verteidigers weder eine Verfahrensverzögerung, noch Mehrkosten für die Staatskasse verursacht werden.
Normenkette
StPO § 142 Abs. 1, § 304 Abs. 1, § 309 Abs. 2, § 467; BRAO § 49b Abs. 1; RVG § 55; VV RVG 4100; VV RVG 4124
Verfahrensgang
LG Schweinfurt (Beschluss vom 18.07.2005) |
LG Würzburg (Aktenzeichen 2 Ns 7 Js 11992/04) |
Tenor
1. Auf die Beschwerde des Angeklagten wird der Beschluss des Landgerichts Schweinfurt vom 18.Juli 2005 aufgehoben.
2. Die Bestellung von Rechtsanwalt H. als Pflichtverteidiger des Angeklagten wird widerrufen.
3. Rechtsanwalt K. wird dem Angeschuldigten als Pflichtverteidiger beigeordnet.
4. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens fallen der Staatskasse zur Last. Seine eigenen notwendigen Auslagen hat der Angeklagte selbst zu tragen.
Tatbestand
I.
Mit in Beschlussform ergangener Verfügung vom 25.2.2005 ordnete der Vorsitzende des Jugendschöffengerichts Bad Kissingen dem Angeklagten Rechtsanwalt H. als Pflichtverteidiger bei. Aufgrund der Hauptverhandlung vom 7.4.2005 verurteilte das Jugendschöffengericht Bad Kissingen den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung zur Freiheitsstrafe von 2 Jahren 6 Monaten. Mit am 12.4.2005 eingegangenem Schreiben vom 11.4.2005 legte Rechtsanwalt H. für den Angeklagten gegen dieses Urteil Berufung ein. Am 13.4.2005 zeigte Rechtsanwalt K. unter Vorlage einer Vollmacht die Vertretung des Angeklagten an, legte ebenfalls Rechtsmittel gegen das Urteil ein und beantragte zugleich für den Angeklagten, ihn dem Angeklagten als Pflichtverteidiger im Rechtsmittelverfahren beizuordnen und Rechtsanwalt H. zu entpflichten. Mit Schreiben vom 14.4.2005 teilte Rechtsanwalt H. dem Gericht mit, der Angeklagte habe ihm mitgeteilt, dass er im Berufungsverfahren von Rechtsanwalt K. verteidigt werden möchte. Er erhebe gegen die Aufhebung seiner Beiordnung keine Einwände und mache keine Kosten für die bereits erfolgte Berufungseinlegung geltend.
Mit Kammerbeschluss vom 18.7.2005 lehnte das Landgericht Schweinfurt den Antrag des Angeklagten auf Zurücknahme der Bestellung des bisherigen Pflichtverteidigers und Beiordnung von Rechtsanwalt K. als neuen Pflichtverteidiger ab. Auf die Gründe dieser Entscheidung wird Bezug genommen.
Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Angeklagten im Schriftsatz seines Verteidigers Rechtsanwalt K. vom 22.7.2005, in dem er für den Fall der Beiordnung als Pflichtverteidiger im Rechtsmittelverfahren auf die Grundgebühr nach VV RVG Nr. 4100 gegenüber der Staatskasse eine Verzichtserklärung abgab. Im Übrigen wird auf den Inhalt der Beschwerdebegründung Bezug genommen.
Das Landgericht hat der Beschwerde mit Beschluss vom 29.7.2005 nicht abgeholfen.
Entscheidungsgründe
II.
Die gemäß § 304 Abs.1 StPO statthafte und auch sonst zulässige Beschwerde erweist sich als begründet.
Die Zurücknahme der Bestellung des bisherigen Pflichtverteidigers und die Beiordnung eines neuen Verteidigers, die in die Zuständigkeit des Vorsitzenden und nicht der Kammer fällt (Meyer-Goßner, StPO, 48. Aufl., Rdnr. 1, § 143), kommt grundsätzlich nur ausnahmsweise bei Vorliegen wichtiger Gründe in Betracht. Ein solcher wichtiger Grund liegt insbesondere dann vor, wenn dem Pflichtverteidiger ein Fehlverhalten von besonderem Gewicht vorzuwerfen ist oder wenn eine nachhaltige, vom Angeklagten nicht verschuldete Zerrüttung des Vertrauensverhältnisses vorliegt (OLG Frankfurt, NStZ-RR 2005, 31). Eine derartige Störung des Vertrauensverhältnisses zwischen dem Angeklagten und seinem bisherigen Pflichtverteidiger wird vom Angeklagten nicht behauptet.
Unabhängig davon ist dem Wunsch des Angeklagten auf Wechsel des Pflichtverteidigers zwischen 1. und 2. Instanz auch dann zu entsprechen, wenn der bisherige Pflichtverteidiger damit einverstanden ist und durch die Beiordnung eines neuen Verteidigers weder eine Verfahrensverzögerung, noch Mehrkosten für die Staatskasse verursacht werden (OLG Frankfurt, a.a.O.; OLG Naumburg, StraFo 2005, 73; Meyer-Goßner, a.a.O., RdNr. 5 zu § 143). In diesem Fall gebietet die sich aus § 142 StPO ergebende Fürsorgepflicht des Gerichts, dem Wunsch des Angeklagten auf Wechsel auch ohne Vorliegen von wichtigen Widerrufsgründen zu entsprechen.
Diese Voraussetzungen liegen vor. Der bisherige Pflichtverteidiger hat sein Einverständnis mit dem W...