Entscheidungsstichwort (Thema)
Klageerzwingungsverfahren. Klageerzwingungsantrag. Polizeibeamter. Körperverletzung. Amt. Beschwerde. Bescheid. Beschwerdebescheid. Einstellung. Verfahrenseinstellung. Meistbegünstigung. Meistbegünstigungsprinzip. Tatzeit. Tatbeendigung. Gesetzesänderung. Ahndung. Ahndungszeitpunkt. Rechtslagenvergleich. milder. Deliktstatbestand. Rechtfertigung. Rechtfertigungsgrund
Leitsatz (amtlich)
Strafprozessuale Eingriffsbefugnisse stellen zugleich einen materiell-rechtlichen Rechtsfertigungsgrund dar. Im Falle einer Änderung der im Zeitpunkt der Anordnung der Maßnahme gültigen Vorschrift findet deshalb auch insoweit nach dem Meistbegünstigungsprinzip des § 2 III StGB das mildere Gesetz (hier: § 81a Abs. 2 Satz 2 StPO in der am 24.08.2017 in Kraft getretenen Fassung vom 18.08.2017 [BGBl. I S. 3202/3203]) Anwendung.
Normenkette
StGB § 2 Abs. 3, § 340; StVG § 24a Abs. 2; StPO § 81a Abs. 2, § 170 Abs. 2, § 172 Abs. 1-2, § 174 Abs. 1, §§ 177, 464 Abs. 1; OWiG § 46 Abs. 4 S. 2
Nachgehend
Tenor
- Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung gegen den Bescheid des Generalstaatsanwalts vom 12. September 2018 wird als unbegründet verworfen.
- Der Antragsteller hat die durch das Verfahren über seinen Antrag auf gerichtliche Entscheidung entstandenen Kosten zu tragen.
Gründe
I.
Der Beschuldigte ist Polizeibeamter. Ihm liegt ein Vergehen der Körperverletzung im Amt (§ 340 StGB) zu Last, weil er eine Blutentnahme ohne vorherige Kontaktierung eines Richters nach der im Anordnungszeitpunkt noch in Kraft befindlichen Bestimmung des § 81a StPO in ihrer bis zum 23.08.2017 gültigen Fassung vom 17.07.2015 anordnete. Mit Bescheid vom 12.09.2018 hat der Generalstaatsanwalt der Beschwerde des Antragstellers gegen die Verfügung der Staatsanwaltschaft vom 23.07.2018, mit der diese das Ermittlungsverfahren gegen den Beschuldigten gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt hat, keine Folge gegeben. Gegen diesen Bescheid wendet sich der Antragsteller mit seinem Antrag auf gerichtliche Entscheidung.
II.
Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist unbegründet, weil nach dem Vortrag in der Antragsschrift eine Strafbarkeit des Beschuldigten in jedem Fall ausscheidet.
1. Es bedarf keiner abschließenden Entscheidung, ob der Vortrag des Antragstellers ausreicht, um überhaupt den Eintritt eines Körperverletzungserfolgs, den die Strafvorschrift des § 340 StGB voraussetzt, annehmen zu können. Zweifel hieran sind schon deswegen angebracht, weil die Umstände der Blutentnahme nicht geschildert werden, etwa ob diese mit Schmerzen oder anderen Beeinträchtigungen des körperlichen Wohlbefindens verbunden war, was sich bei einer lege artis durch einen Arzt durchgeführten Blutentnahme keineswegs von selbst versteht.
2. Dies kann aber letztlich dahinstehen. Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung hat jedenfalls deshalb keinen Erfolg, weil die vom Beschuldigten in seiner Eigenschaft als Polizeibeamter getroffene Anordnung der Blutentnahme nach der seit dem 24.08.2017 gültigen Rechtslage rechtmäßig erfolgt und damit sein Verhalten zugleich gerechtfertigt ist.
a) Der Umstand, dass - wie der Antragsteller meint - die Voraussetzungen der Gefahr im Verzug nicht vorlagen und deshalb gemäß § 81a Abs. 2 StPO i.V.m. § 46 Abs. 4 OWiG in der zur Tatzeit geltenden Fassung die Blutentnahme durch den Richter hätte angeordnet werden müssen, führt nicht zur Rechtswidrigkeit der dem Beschuldigten zur Last gelegten Handlung. Denn aufgrund der Neufassung der genannten Bestimmungen mit Wirkung vom 24.08.2017 [BGBl. I S. 3202] ist nach § 46 Abs. 4 Satz 2 OWiG n.F. bei Verdacht einer Ordnungswidrigkeit nach § 24a Abs. 2 StVG der Richtervorbehalt entfallen. Nach der neuen Rechtslage ist die Anordnung der Blutentnahme durch einen Polizeibeamten nicht nur prozessual rechtmäßig, sondern auch materiell gerechtfertigt. Denn die staatlichen Eingriffsbefugnisse stellen zugleich einen Rechtfertigungsgrund dar (Eser in: Schönke/Schröder StGB 29. Aufl. § 223 Rn. 14, 15; Fischer StGB 65. Aufl. § 223 Rn. 36, jeweils m.w.N.).
b) Obwohl die genannten Vorschriften erst nach der dem Beschuldigten zur Last gelegten Tat geändert wurden, ist dies gemäß § 2 Abs. 3 StGB zu dessen Gunsten zu berücksichtigen. Nach dieser Bestimmung ist das mildeste Gesetz anzuwenden, wenn das bei Tatbeendigung geltende Gesetz vor der Entscheidung geändert wird. Maßgebend ist insoweit der gesamte sachlich-rechtliche Rechtszustand (Eser/Hecker in: Schönke/Schröder § 2 Rn. 18; Fischer § 2 Rn. 8), der nicht nur die jeweilige Fassung des konkreten Deliktstatbestandes beinhaltet, sondern auch Änderungen im Allgemeinen Teil des Strafrechts, wie z.B. im Bereich der Rechtfertigungsgründe, einbezieht (Hassemer/Kargl in: Kindhäuser/Neumann/Paeffgen [Hrsg.] StGB 5. Aufl. § 2 Rn. 24a; Satzger/Schluckebier/Widmaier StGB 3. Aufl. § 2 Rn. 22). Da nach der neuen Rechtslage das Verhalten des Polizeibeamten jedenfalls gerechtfertigt ist, führt dies in Anwendung des § ...