Entscheidungsstichwort (Thema)

Urteilsgründe: Angabe des berücksichtigten Toleranzwertes einer Geschwindigkeitsüberschreitung im Straßenverkerkehr

 

Leitsatz (amtlich)

1. Bei einer Verurteilung wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung muss der Tatrichter in den Urteilsgründen neben dem angewandten Messverfahren auch den berücksichtigten Toleranzwert angeben. Hierauf könnte nur im Falle eines glaubhaften Geständnisses des Betroffenen verzichtet werden.

2. Bei Verwendung eines standardisierten Messverfahrens ist in den Urteilsgründen die Mitteilung geboten, aus welchem Grund und zu welchem konkreten Beweisthema der Tatrichter ein Sachverständigengutachten erholt hat. Nur in diesem Fall kann verlässlich beurteilt werden, ob der Tatrichter zunächst gegebenenfalls Anhaltspunkte für eine Fehlmessung hatte und ob diese durch die Beweisaufnahme in ausreichender Weise ausgeräumt werden konnten.

3. Wenn sich der Tatrichter ohne weitere eigene Erwägungen den Ausführungen des Sachverständigen angeschlossen hat, muss er im Urteil die wesentlichen Anknüpfungstatsachen und Darlegungen des Sachverständigen so wiedergeben, wie dies zum Verständnis des Gutachtens und zur Beurteilung seiner Schlüssigkeit erforderlich ist.

 

Verfahrensgang

AG Hersbruck (Entscheidung vom 29.06.2015)

 

Tenor

  1. Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts Hersbruck vom 29. Juni 2015 mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufgehoben.
  2. Die Sache wird zur erneuter Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an das Amtsgericht Hersbruck zurückverwiesen.
 

Gründe

I.

Das Amtsgericht hat gegen den Betroffenen mit Urteil vom 29.06.2015 wegen einer "fahrlässig begangenen Verkehrsordnungswidrigkeit nach der StVO" (Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit um 44 km/h) eine Geldbuße in Höhe von 320 verhängt.

Mit der gegen dieses Urteil gerichteten Rechtsbeschwerde rügt der Betroffene die Verletzung materiellen Rechts.

II.

Die gemäß § 79 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 OWiG statthafte und auch sonst zulässige Rechtsbeschwerde des Betroffenen hat - zumindest vorläufig - Erfolg, weil das Urteil an durchgreifenden Darstellungsmängeln leidet. Die Urteilsgründe sind lückenhaft (§ 71 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 267 Abs. 1 StPO) und zwingen den Senat zur Aufhebung des tatrichterlichen Urteils.

1. Im angefochtenen Urteil wird zwar mitgeteilt, mit welchem konkreten Messverfahren bzw. Messgerät die verfahrensgegenständliche Geschwindigkeitsüberschreitung festgestellt worden ist. Es fehlen jedoch Angaben dazu, ob und gegebenenfalls in welcher Höhe ein Toleranzabzug berücksichtigt wurde.

Erfüllt die Geschwindigkeitsermittlung die Voraussetzungen eines standardisierten Messverfahrens im Sinne der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, genügt es im Regelfall, wenn sich die Verurteilung wegen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit auf die Mitteilung des Messverfahrens und die nach Abzug der Messtoleranz ermittelte Geschwindigkeit stützt. Denn mit der Mitteilung des angewandten Messverfahrens sowie des berücksichtigten Toleranzwertes wird im Rahmen eines durch Normen vereinheitlichten (technischen) Verfahrens eine für die Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts in aller Regel hinreichende Entscheidungsplattform zur Beurteilung einer nachvollziehbaren tatrichterlichen Beweiswürdigung geschaffen (BGHSt 39, 291; 43, 277; BayObLGSt 1993, 55; OLG Bamberg DAR 2012, 154 m.w.N.). Auf diese Angaben kann nur im Falle eines glaubhaften Geständnisses des Betroffenen verzichtet werden, von dem hier nach den Urteilsgründen nicht ausgegangen werden kann.

2. Darüber hinaus hat das Amtsgericht die Verurteilung auch auf ein Sachverständigengutachten zur "Überprüfung der Messung" gestützt, ohne den Inhalt des Gutachtens in ausreichendem Umfang darzulegen.

a) Nachdem es sich bei der Messung mit dem Gerätetyp "Poliscan Speed" grundsätzlich um ein standardisiertes Messverfahren handelt, weil die Bedingungen seiner Anwendbarkeit und sein Ablauf so festgelegt sind, dass unter gleichen Voraussetzungen gleiche Ergebnisse zu erwarten sind (vgl. nur OLG Düsseldorf v. 30.04.2015 - IV-3 RBs 15/15, 3 RBs 15/15, IV-3 RBs 15/15 - 2 Ss OWi 23/15, 3 RBs 15/15 - 2 Ss OWi 23/15 - [bei [...]] m.w.N; OLG Frankfurt DAR 2015, 149; OLG Karlsruhe NZV 2015, 150), wäre die Einholung eines Sachverständigengutachtens grundsätzlich nur erforderlich gewesen, wenn konkrete Anhaltspunkte für eine nicht ordnungsgemäße Messung bestanden hätten (OLG Düsseldorf a.a.O.; OLG Karlsruhe a.a.O.). Deshalb wäre bereits die Mitteilung geboten gewesen, aus welchem Grund und zu welchem konkreten Beweisthema das Amtsgericht überhaupt ein Sachverständigengutachten erholt hat. Nur in diesem Fall kann verlässlich beurteilt werden, ob der Tatrichter zunächst ggf. Anhaltspunkte für eine Fehlmessung hatte und ob diese durch die Beweisaufnahme in ausreichender Weise ausgeräumt werden konnten.

b) Darüber hinaus leidet die Darstellung des erstatteten Gutachtens an grundlegenden Mängeln. Sie erschöpft si...

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