Entscheidungsstichwort (Thema)
Übertragung der örtlichen Zuständigkeit im Bußgeldverfahren durch Zweckvereinbarung
Leitsatz (amtlich)
Die örtliche Zuständigkeit für die bußgeldrechtliche Verfolgung und Ahndung von Geschwindigkeitsüberschreitungen kann im Wege der Zweckvereinbarung wirksam von einer Gemeinde auf eine andere Gebietskörperschaft übertragen werden.
Normenkette
GG Art. 84 I 1; StVG § 24; StPO § 206a; OWiG § 32 II; BayZuVOWiG § 2 III; BayKommZG Art. 7 II
Tatbestand
Dem Betr. liegt zur Last, am 13.08.2008 um 16.55 Uhr als Führer eines Pkw in der Stadt B. die innerorts zulässige Höchstgeschwindigkeit um 31 km/h überschritten zu haben. Zudem soll er noch am selben Tage um 17.17 Uhr mit einem anderen Pkw ebenfalls in B. die zulässige Höchstgeschwindigkeit um 12 km/h überschritten haben. Wegen des ersten Verstoßes hat die Stadt R. mit Bußgeldbescheid vom 30.10.2008 ein Bußgeld von 100 EUR sowie ein Fahrverbot von einem Monat verhängt. Wegen des zweiten Verstoßes setzte die Stadt R. mit Bußgeldbescheid vom 27.10.2008 eine Geldbuße von 25 EUR fest. Der Betr. hat gegen beide Bußgeldbescheide jeweils form- und fristgerecht Einspruch eingelegt. Nach der gerichtlichen Verbindung beider Verfahren fragte das AG am 19.03.2009 bei dem Verteidiger des Betr. und der StA an, ob Einverständnis mit einer Entscheidung im Beschlusswege bestehe. Am 24.03.2009 hat das AG durch "Beschluss gemäß § 72 OWiG" das Verfahren wegen beider Verkehrsverstöße eingestellt, weil nach seiner Auffassung die Stadt R. zum Erlass der Bußgeldbescheide örtlich nicht zuständig gewesen sei, so dass jeweils von einem nicht behebbaren Verfahrenshindernis auszugehen sei. Hiergegen wendet sich die StA mit ihrer Rechtsbeschwerde. Ihr Rechtsmittel erwies sich hinsichtlich der Verfahrenseinstellung wegen der im Bußgeldbescheid u.a. mit einem Fahrverbot geahndeten (ersten) Geschwindigkeitsüberschreitung als erfolgreich; im übrigen als unzulässig.
Entscheidungsgründe
I.
Die wegen der ersten Geschwindigkeitsüberschreitung gemäß § 79 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 OWiG ohne weiteres statthafte und auch sonst zulässige Rechtsbeschwerde der StA erweist sich als begründet.
1.
Das AG hat das Verfahren ausweislich der Begründung des Beschlusses vom 24.03.2009 "gemäß §§ 46 OWiG i.V.m. § 206 a StPO" eingestellt. Eine solche Einstellung des Verfahrens außerhalb der Hauptverhandlung wäre grundsätzlich nur mit der sofortigen Beschwerde gemäß § 206 a II StPO anfechtbar. Aus den Gesamtumständen ergibt sich hier aber, dass das AG einen Beschluss nach § 72 OWiG erlassen hat, welcher eine Gerichtsentscheidung mit urteilsgleichem Inhalt darstellt. Die Tatrichterin hatte vor Erlass des Beschlusses sowohl beim Verteidiger als auch bei der StA nachgefragt, ob mit einer Entscheidung im Beschlusswege Einverständnis bestehe. Die Überschrift der gerichtlichen Entscheidung lautet: "Beschluss gemäß § 72 OWiG". Der Beschluss wurde dem Verteidiger mit der Rechtsmittelbelehrung ,Rechtsbeschwerde' bzw. ,Zulassung der Rechtsbeschwerde' zugestellt. Damit hat die Tatrichterin der äußeren Form nach eindeutig eine Entscheidung nach § 72 OWiG getroffen, auch wenn sie inhaltlich wohl nicht durch urteilsgleiche Entscheidung, sondern durch einen außerhalb der Hauptverhandlung zu treffenden Beschluss nach § 206 a StPO i.V.m. § 46 I OWiG entscheiden wollte. Der Beschluss nach § 72 I OWiG steht hinsichtlich des Rechtsmittels einem Urteil gleich, so dass gegen ihn die Rechtsbeschwerde unter den Voraussetzungen des § 79 I Nr. 3 OWiG das statthafte Rechtsmittel ist, auch wenn das Verfahren durch einen Beschluss nach § 46 I OWiG, § 206 a StPO hätte beendet werden können (BayObLG NJW 1971, 907).
2.
Die Rechtsbeschwerde erweist sich auch als begründet, weil das AG zu Unrecht ein Verfahrenshindernis angenommen hat.
a)
Dabei kann offen bleiben, ob die Stadt R. für den Erlass des Bußgeldbescheides tatsächlich örtlich zuständige Behörde i.S.v. § 37 I Nr. 1 OWiG war. Ein Bußgeldbescheid stellt nur dann keine geeignete Verfahrensgrundlage dar, wenn er nichtig ist. Nichtigkeit wird von der obergerichtlichen Rechtsprechung bei sachlicher Unzuständigkeit nur dann angenommen, wenn ein schwerwiegender, offenkundiger Mangel vorliegt (BayObLG BayVBl. 2005, 89, 90 m.w.N.). Dieselben Erwägungen gelten für den Fall der örtlichen Unzuständigkeit (vgl. Göhler OWiG 15. Aufl. § 37 Rn. 13 m.w.N.). Ein solcher schwerwiegender und offenkundiger Mangel ist vorliegend nicht gegeben. Nach § 2 III 1 BayZuVOWiG vom 21.10.1997 sind die Gemeinden neben den Dienststellen der Bayerischen Landespolizei u.a. zuständig für die Verfolgung und Ahndung von Ordnungswidrigkeiten nach § 24 StVG, die Verstöße gegen die zulässige Geschwindigkeit von Fahrzeugen betreffen. Zwischen der Stadt B. und der Stadt R. wurde am 17.05.2005 eine Zweckvereinbarung geschlossen, wonach die Stadt B. die ihr in § 2 III und IV BayZuVOWiG eingeräumten Aufgaben im übertragenen Wirkungskreis für das Gebiet der Stadt B. auf die Stadt R. überträgt (§ 1 II der Zweckvereinbarung). Diese Zw...