Entscheidungsstichwort (Thema)
Geschwindigkeitsüberschreitung. Fahrverbot. Ausnahme. Übermaßverbot. Ortschaft. Existenzgefährdung. Urteilsgründe. Messstelle. Verkehrsüberwachungsrichtlinie
Leitsatz (amtlich)
Wird von einem an sich verwirkten Regelfahrverbot wegen einer innerorts begangenen Geschwindigkeitsüberschreitung mit der Begründung abgesehen, dass die Messung entgegen der polizeilichen Verkehrsüberwachungsrichtlinien in einem zu geringen Abstand vor der das Ende der innerörtlichen Höchstgeschwindigkeit markierenden Ortstafel (Z. 311) durchgeführt wurde, haben sich die Urteilsgründe dazu zu verhalten, ob sachliche Gründe für die Wahl und Einrichtung der konkreten Messstelle bestanden haben (u.a. Anschluss an OLG Bamberg, Beschl. v. 17.07.2012 - 3 Ss OWi 944/12 = DAR 2012, 528 = ZfS 2012, 648 = OLGSt StVG § 25 Nr. 52 = VM 2013, Nr. 3).
Normenkette
StVG § 25 Abs. 1 S. 1; StPO § 267 Abs. 3; OWiG § 71 Abs. 1; StVO § 4 Abs. 1 S. 1; BKatV § 4 Abs. 1 S. 1 Nr. 1
Tatbestand
Die Verwaltungsbehörde hat gegen den Betr. wegen einer am 11.03.2016 begangenen innerörtlichen Geschwindigkeitsüberschreitung um 31 km/h eine Geldbuße von 160 Euro festgesetzt und gegen ihn ein einmonatiges Fahrverbot nach Maßgabe des § 25 IIa StVG verhängt. Auf den Einspruch des Betr., den dieser in der Hauptverhandlung auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt hat, hat das AG den Betr. zu einer Geldbuße von 320 Euro verurteilt. Von dem im Bußgeldbescheid angeordneten Fahrverbot hat es abgesehen. Mit ihrer hiergegen gerichteten Rechtsbeschwerde rügt die StA die Verletzung materiellen Rechts; sie beanstandet, dass das AG von der Verhängung eines Fahrverbots abgesehen hat. Ihr Rechtsmittel erwies sich als begründet.
Entscheidungsgründe
I. Die wegen der wirksamen Einspruchsbeschränkung nur noch den Rechtsfolgenausspruch betreffende statthafte (§ 79 I Nrn. 1 und 3 OWiG) und auch sonst zulässige Rechtsbeschwerde der StA hat Erfolg. Die Ausführungen des AG, mit denen es ein Absehen von der Verhängung eines Fahrverbots begründet sind lückenhaft (§ 71 I OWiG i.V.m. § 267 III StPO) und tragen von daher den Rechtsfolgenausspruch nicht.
1. Soweit das AG "besondere Begleitumstände der Tat", welche die Verhängung eines Regelfahrverbots unangemessen erscheinen lassen, in dem Umstand erblickt, dass sich die Messstelle weniger als 200 Meter vor dem Ortsausgangsschild befunden habe und sich die Bebauung an der Messstelle "weiter weg" befunden habe, tragen diese Feststellungen das Absehen von der Verhängung eines Regelfahrverbots nach §§ 25 I Satz 1 [1. Alt.] StVG, 4 I Satz 1 Nr. 1 BKatV i.V.m. lfd.Nr. 11.3.6. BKat nicht.
a) Zwar kann eine Geschwindigkeitsmessung, die unter Verletzung des in internen Verwaltungsanweisungen vorgegebenen Mindestabstands zu einem die Geschwindigkeit regelnden Verkehrszeichen vorgenommen werden, die Indizwirkung eines Regelbeispiels entfallen lassen, worunter auch eine Messung vor der das Ende der innerörtlichen Höchstgeschwindigkeit markierenden Ortstafel (Z. 311) fällt (BayObLG NZV 2002, 576). Auch soll nach Nr. 1 Ziff. 3 der 'Ergänzenden Weisungen' des Bayerischen Staatsministeriums des Innern zur Richtlinie für die polizeiliche Verkehrsüberwachung (VÜ-Richtlinien [AllMBl. 2006, S. 155]; im Folgenden: VÜR) die Messstelle beim Einsatz von Geschwindigkeitsmessgeräten mindestens 200 m vom Beginn oder Ende der Geschwindigkeitsbeschränkung entfernt sein. Allerdings gilt dies nicht ausnahmslos. Am Beginn oder am Ende einer geschlossenen Ortschaft kann gemäß Nr. 1 Ziff. 3.3. VÜR bei besonderen Verkehrsverhältnissen (z.B. Fehlen von Fußwegen bei spürbarem Fußgängerverkehr; einmündende Straßen; Firmenzufahrten; Schulen; Kindergärten) die Regelentfernung auch unterschritten werden.
b) Zum Vorliegen einer solchen Fallkonstellation hat das AG keine Feststellungen getroffen. Hierzu hätte sich das AG jedoch verhalten müssen, wenn es besondere Begleitumstände der Tat hätte annehmen wollen, durch welche die Indizwirkung eines Regelbeispiels entfallen soll (OLG Bamberg, Beschl. v. 17.07.2012 - 3 Ss OWi 944/12 = DAR 2012, 528 = ZfS 2012, 648 = OLGSt StVG § 25 Nr. 52 = VM 2013, Nr. 3). Denn von der Verletzung des in internen Verwaltungsanweisungen vorgegebenen Mindestabstands könnte nur dann ausgegangen werden, wenn kein in der Verwaltungsanweisung vorgesehener sachlicher Grund für die konkrete Art und Weise der Durchführung der Messung bestanden haben sollte.
2. Soweit das AG besondere Umstände für ein Absehen von der Verhängung eines Regelfahrverbots darin sieht, dass dieses infolge der Vollstreckung eines weiteren Fahrverbots, das wegen einer nach dem 11.03.2016 begangenen Verkehrsordnungswidrigkeit rechtskräftig verhängt worden ist, zur Einwirkung auf den Betr. nicht mehr erforderlich sei, um ihn künftig zur Einhaltung der Verkehrsregeln anzuhalten, kann der Senat dem nicht folgen.
a) Allerdings kann ein Absehen von der Verhängung eines Fahrverbots, welches vom Verordnungsgeber als Denkzettel- und Besinnungsmaßnahme gedacht wurde, berechtigt sein, w...