Entscheidungsstichwort (Thema)
Auch bei einem Verkehrsunfall nach innerörtlicher "Wettfahrt" und mit überhöhter Geschwindigkeit kein automatischer Leistungsausschluss in der Unfallversicherung/Zu den Voraussetzungen einer "Fahrtveranstaltung" sowie einer vorsätzlichen Gefährdung des Straßenverkehrs
Leitsatz (amtlich)
1. Die in zunehmendem Umfang auch im innerörtlichen Straßenverkehr zu beobachtenden "Wettfahrten" sind selbst dann, wenn dies unter grober Missachtung oder Verletzung von Vorschriften der StVO geschieht, keine "Veranstaltung" i.S.v. § 2 Abs. 1 (5) AUB 94, sondern allenfalls ein privates "Kräftemessen" oder ein bloßes Ausleben von Egoismen.
2. Zwar kann ein solches "Wettrennen", sofern es unter Verletzung von Verkehrsvorschriften erfolgt, zugleich den Tatbestand einer Gefährdung des Straßenverkehrs erfüllen.
Eine vorsätzliche Gefährdung des Straßenverkehrs i.S.d. § 315c Abs. 1 Nr. 2d StGB erfordert indessen nicht nur ein zu schnelles Fahren an Straßenkreuzungen oder Straßeneinmündungen und eine dadurch verursachte konkrete Gefährdung, sondern darüber hinaus in der Person jedes beteiligten Fahrzeuglenkers die "grob verkehrswidrige und rücksichtslose" Begehung des Verkehrsverstoßes sowie einen sowohl auf den Verkehrsverstoß als auch auf die genannte Begehungsweise bezogenen Vorsatz des Täters.
Normenkette
AURB 98 § 2 Abs. 1 (5) [= § 2 Abs. 1 (5) AUB 94]; AURB 98 § 2 Abs. 1 (2) [=§ 2 Abs. 1 (2) AUB 94]; StGB § 315c Abs. 1 Nr. 2d
Tenor
I. Der Beklagten wird Gelegenheit zur Stellungnahme eingeräumt bis spätestens 15.3.2010.
Tatbestand
Der 37-jährige Kläger befuhr am 18.9.2004 gegen 15.30 Uhr mit seinem Motorrad Suzuki 750 R GSX den vierspurigen R. Ring/H. Ring im Stadtgebiet von W. Neben ihm fuhr - ebenfalls mit einem Motorrad - der Zeuge H.
Nachdem beide Fahrer vor dem Kreuzungsbereich "Kaiserstraße" zunächst verkehrsbedingt angehalten hatten, beschleunigten sie nach dem Umschalten der Lichtzeichenanlage auf "Grün" ihre Fahrzeuge auf der auf 50 km/h beschränkten Straße so stark, dass der Kläger kurz vor dem nächsten Kreuzungsbereich eine Geschwindigkeit von mind. 80 km/h erreichte und dort mit dem Pkw der Unfallbeteiligten B. kollidierte, die kurz vor dem Kläger von der rechten auf die linke Abbiegespur übergewechselt war.
Der Kläger wurde bei dem Unfall erheblich verletzt. Er begehrt nun von seinem Unfallversicherer Zahlung einer Unfallrente. Die Beklagte beantragt Klageabweisung und behauptet einen Leistungsausschluss, da sich der Kläger an einer Fahrtveranstaltung beteiligt habe, jedenfalls aber eine vom Kläger begangene vorsätzliche Gefährdung des Straßenverkehrs zu dem Unfall geführt habe.
Vom Erstgericht vernommene Zeugen haben bekundet, die Motorräder hätten stark beschleunigt bzw. hätten ein Rennen gefahren.
Das LG hat der Klage stattgegeben. Hiergegen wendet sich der beklagte Unfallversicherer, der an seiner Auffassung eines Leistungsausschlusses festhält.
Die Berufung ist mit weiterem Beschluss v. 23.3.2010 zurückgewiesen worden.
Entscheidungsgründe
Der Senat ist davon überzeugt, dass die Berufung der Beklagten keine Aussicht auf Erfolg hat (§ 522 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 ZPO) und dass die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision nicht vorliegen. Er beabsichtigt deshalb, die Berufung der Beklagten gegen das Endurteil des LG Würzburg vom 18.11.2009 - Az.: 21 O 3149/07 - einstimmig zurückzuweisen. Hierzu sowie zum vorgesehenen Berufungsstreitwert wird Gelegenheit zur Stellungnahme eingeräumt.
I. Die Berufung der Beklagten hat keine Aussicht auf Erfolg, § 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO.
Das angefochtene Urteil des LG Würzburg vom 18.11.2009 erweist sich nach Überprüfung durch das Berufungsgericht anhand des Berufungsvorbringens als zutreffend. Der Senat nimmt hierauf Bezug, sieht sich jedoch, auch unter Berücksichtigung der Berufungsangriffe, zu folgenden ergänzenden Ausführungen veranlasst:
1. Das LG begründet die angefochtene Entscheidung damit, dass der Beklagten der Nachweis eines Ausschlussgrundes nach § 2 Abs. 1 (5) AURB 98, nämlich der Beteiligung des Klägers an einer "Fahrtveranstaltung" im Sinne dieser Bedingung, nicht gelungen sei. Dies ist berufungsrechtlich nicht zu beanstanden.
A. Zunächst ist es nicht nur zutreffend, sondern zivilprozessual sogar geboten, eine selbständige tatrichterliche Prüfung und Bewertung vorzunehmen bezüglich des Vorliegens einer solchen, von der Beklagten behaupteten Beteiligung des Klägers an einer Wettfahrt, ohne hierbei an die Bewertungen und Meinungen von Zeugen gebunden zu sein. Die tatrichterliche Überzeugungsbildung hat zwar aufgrund durchgeführter Beweisaufnahme und deren Würdigung zu erfolgen, gleichwohl dürfen hierbei lediglich die von den Zeugen bekundeten Tatsachen und Umstände, nicht aber deren subjektive Einschätzungen Berücksichtigung finden.
B. Die gegen die erstgerichtliche Beweiswürdigung gerichteten Berufungsangriffe der Beklagten erweisen sich als unbegründet. Aufgabe eines Zivilgerichtes ist es, aufgrund des gesamten Inhalts der Verhandlungen einschließl...