Leitsatz (amtlich)
Allein der Umstand, dass der Betroffene das für ihn geltende Rotlicht zunächst beachtet, dann jedoch aufgrund einer Verwechslung der für ihn maßgeblichen Lichtzeichenanlage seine Fahrt bei anhaltender Rotlichtphase fortgesetzt hat, rechtfertigt ohne das Hinzutreten sonstiger besonderer Umstände auch dann keine Ausnahme von einem verwirkten Fahrverbot wegen eines qualifizierten Rotlichtverstoßes, wenn sich dieser zur Nachtzeit ereignet hat.
Verfahrensgang
AG München (Entscheidung vom 16.07.2007) |
Tenor
I.
Auf die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Amtsgerichts München vom 16. Juli 2007 im Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen sowie in der Kostenentscheidung aufgehoben.
II.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Entscheidung an das Amtsgericht München zurückverwiesen.
Gründe
I.
Das Amtsgericht hat den geständigen Betroffenen, einen angestellten Taxifahrer, wegen einer am 12.12.2006 als Führer eines Pkw innerorts fahrlässig begangenen Nichtbeachtung einer länger als eine Sekunde andauernden Rotlichtphase (so genannter qualifizierter Rotlichtverstoß) zu einer Geldbuße von 200 Euro verurteilt; von der Verhängung des im Bußgeldbescheid vom 29.12.2006 neben einer Geldbuße von 125 Euro angeordneten Fahrverbot von einem Monat hat es demgegenüber abgesehen.
Mit ihrer Rechtsbeschwerde rügt die Staatsanwaltschaft die Verletzung materiellen Rechts. Sie beanstandet, dass das Amtsgericht kein Fahrverbot verhängt hat.
II.
Die gemäß § 79 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 OWiG statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft, die wirksam auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt ist, erweist sich - jedenfalls vorläufig - als erfolgreich.
1.
Aufgrund der Feststellungen des Amtsgerichts kam gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 BKatV i.V.m. Nr. 132.2 BKat die Anordnung eines Fahrverbots wegen grober Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers in der Regel in Betracht. Dies hat das Amtsgericht auch nicht verkannt, jedoch von der Anordnung eines Fahrverbots bei gleichzeitiger Erhöhung des als Regelsatz vorgesehenen Bußgeldes von 125 Euro auf 200 Euro (§ 4 Abs. 4 BKatV) mit der Begründung abgesehen, zugunsten des Betroffenen sei von einem die Indizwirkung des verwirklichten Regelbeispiels beseitigenden "atypischen Fall" auszugehen.
Dies ist im Grundsatz nicht zu beanstanden, zumal die zu beurteilende Fallgestaltung in der Tat die Annahme eines so genannten Augenblicksversagens und damit eines nur leicht fahrlässigen Verhaltens des Betroffenen nahe legen könnte. Bei näherer Betrachtung zählt hierzu aufgrund der tatsächlichen Feststellungen des Amtsgerichts allerdings nur, dass der als Taxifahrer offenbar ortskundige Betroffene die für ihn als Linksabbieger geltende Lichtzeichenanlage - wie das zunächst erfolgte Anhalten bei Rotlicht belegt - nicht gänzlich unbeachtet gelassen hat und möglicherweise durch den auf der benachbarten (weiteren) Linksabbiegespur bei Rotlicht ebenfalls haltenden Streifenwagen der Polizei derart abgelenkt worden sein könnte, dass er aufgrund einer Verwechslung der für ihn maßgeblichen Lichtzeichenanlage seine Fahrt bei anhaltender Rotlichtphase fortgesetzt haben könnte, als die sich aus seiner Sicht ganz rechts befindliche und vom Betroffenen wahrgenommene, jedoch ausschließlich für den Geradeausverkehr bestimmte Lichtzeichenanlage auf Grünlicht umschaltete (vgl. zu vergleichbaren "Frühstarter" - Fällen aus der Rspr. z.B. OLG Hamm NZV 1997, 190 f. und 446 f:; ferner OLG Hamm NJW 1997, 2125/2126 f; OLG Karlsruhe NJW 2003, 3719/3720 f und schon OLG Hamm NZV 1996, 117; zusammenfassend: Deutscher, in Burhoff ≪Hrsg.≫, Handbuch für das straßenverkehrsrechtliche OWi-Verfahren ≪2005≫ Rn. 809 ff., insbesondere Rn. 837 ff. m. weit. Nachw.).
2.
All diese im Einzelfall privilegierenden Umstände können allerdings, wie die Staatsanwaltschaft bei dem Rechtsbeschwerdegericht in ihrer differenzierten und mit der ständigen Rechtssprechung sowohl des vormaligen Bayerischen Obersten Landesgerichts als auch der Rechtsbeschwerdesenate des OLG Bamberg übereinstimmenden Antragsschrift zutreffend herausstellt, ein Absehen vom Fahrverbot hier nicht rechtfertigen:
Von der Anwendung der Bußgeldkatalog-Verordnung kann nur in solchen Einzelfällen abgesehen werden, in denen der Sachverhalt zugunsten des Betroffenen so erhebliche Abweichungen vom Normalfall aufweist, daß die Annahme eines Ausnahmefalles gerechtfertigt ist, wie dies etwa in Fällen mit denkbar geringer Bedeutung und minimalem Handlungsunwert oder bei möglichen Ausnahmeumständen persönlicher Art der Fall sein kann (BayObLGSt 1994, 56; 100/101; 1996, 3/4 f.). Allein der Umstand, dass der Betroffene - wie hier - als so genannter Frühstarter aufgrund einer momentanen Fehlentscheidung seine Fahrt ungeachtet der für seine Fahrtrichtung Rotlicht anzeigenden Lichtzeichenanlage fortsetzte, kann einen derartigen Ausnahmefall jedoch nicht begründen. Denn die verbotswidrige Fahrweise des Betroffenen war hier...