Entscheidungsstichwort (Thema)
Bußgeldverfahren. Ordnungswidrigkeit. Urteil. Rechtsbeschwerde. Zulassungsrechtsbeschwerde. Rechtsbeschwerdeeinlegung. Rechtsbeschwerdebegründung. Auslegung. Abgabe. Verweisung. Rückgabe. PKH. Prozesskostenhilfe. Prozesskostenhilfeverfahren. Beiordnung. Rechtsanwalt. Verteidiger. Pflichtverteidiger. Wiedereinsetzung. Wiedereinsetzungsantrag. fair. Gehör
Leitsatz (amtlich)
Ein mit der (Zulassungs-) Rechtsbeschwerde eingelegter Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist als Antrag auf Beiordnung eines Pflichtverteidigers auszulegen, über den das Tatgericht zu entscheiden hat. Hat das Tatgericht noch nicht über diesen Antrag entschieden, beruht die Versäumung der Rechtsbeschwerdebegründungsfrist nicht auf einem Verschulden des Betroffenen i.S.v. § 44 Abs. 1 Satz 1 StPO; die Nachholung der versäumten Handlung durch Einreichung einer Rechtsbeschwerdebegründungsschrift ist dem Betroffenen erst zumutbar, wenn über seinen Antrag auf Bestellung eines Pflichtverteidigers entschieden ist. Das Recht des Betroffenen auf ein faires Verfahren erfordert daher die Rückgabe der Sache an das Amtsgericht zur weiteren Sachbehandlung, weil mangels Nachholung der versäumten Handlung Wiedereinsetzung in den Stand vor Versäumung der Rechtsbeschwerdebegründungsfrist - vorerst - nicht gewährt werden kann (§ 45 Abs. 2 Satz 2 StPO).
Normenkette
GG Art. 103 Abs. 1; StPO § 44 Abs. 1 S. 1, § 45 Abs. 2 S. 2, § 140 Abs. 2 S. 1, §§ 300, 341 Abs. 1, § 347 Abs. 2, § 345 Abs. 1-2, § 346 Abs. 1-2, § 349 Abs. 1; OWiG § 71 Abs. 1, § 80 Abs. 3 S. 3, Abs. 4 Sätze 1-2
Tenor
Das Verfahren wird zur weiteren Sachbehandlung an das Amtsgericht zurückgegeben.
Gründe
I.
Das Amtsgericht verurteilte den Betroffenen am 07.07.2017 wegen unbefugter Hilfeleistung in Steuersachen zu einer Geldbuße von 150 €. Das Urteil wurde in der Hauptverhandlung vom 07.07.2017 in Anwesenheit des nicht anwaltlich vertretenen Betroffenen verkündet; ihm wurde ausweislich des Protokolls über die Hauptverhandlung mündlich sowie durch Aushändigung des Vordrucks 'OWi 22' eine Rechtsmittelbelehrung erteilt. Mit Schreiben vom 14.07.2017, eingegangen bei dem Amtsgericht am selben Tage, teilte der Betroffene mit, dass er die Zulassung der Rechtsbeschwerde beantrage. Für das Verfahren beantrage er Prozesskostenhilfe. Soweit und sobald Prozesskostenhilfe bewilligt worden sei, werde er dem Gericht einen beizuordnenden Rechtsanwalt benennen. Soweit und sobald Prozesskostenhilfe bewilligt worden sei, werde der beigeordnete Rechtsanwalt einen Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde "stellen". Vom Vorwurf der unerlaubten Steuerberatung sei er freizusprechen. Die Begründung für das "summarische PKH-Prüfverfahren" werde er bis zum 14.08.2017 bei Gericht einreichen. Unter dem 31.07.2017 verfügte die Tatrichterin die förmliche Zustellung des Urteils an den Betroffenen, welche am 02.08.2017 erfolgte. Mit Telefax-Nachricht vom 14.08.2017 übermittelte der Betroffene dem Amtsgericht zur "Begründung für das summarische PKH-Prüfverfahren" umfangreiche Ausführungen zur Sache, in denen er sich gegen seine Verurteilung wendet und auch eine Verletzung der gerichtlichen Aufklärungspflicht moniert. Das Amtsgericht hat über den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe nicht entschieden, sondern unter dem 16.08.2017 veranlasst, dass die Akten durch Vermittlung der Staatsanwaltschaft dem Rechtsbeschwerdegericht zur Entscheidung über den Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde vorgelegt werden. Die Generalstaatsanwaltschaft hat unter dem 18.09.2017 beantragt, den Antrag des Betroffenen auf Zulassung der Rechtsbeschwerde gegen das Urteil des Amtsgerichts vom 07.07.2017 als unzulässig zu verwerfen, da das Rechtsmittel zwar form- und fristgerecht eingelegt, nicht aber formgerecht begründet worden sei. In seiner Gegenerklärung vom 06.10.2017 macht der Betroffene im Wesentlichen geltend, er habe bisher lediglich einen Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe gestellt, der nicht den formalen Begründungserfordernissen eines Antrags auf Zulassung der Rechtsbeschwerde genügen müsse, und über den nicht entschieden sei. Im Übrigen sei ein Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde von ihm bisher nicht eingelegt worden; vielmehr sollte nach Bewilligung von Prozesskostenhilfe erst der beigeordnete Rechtsanwalt ggf. im Zusammenhang mit einem Wiedereinsetzungsantrag den Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde ordnungsgemäß stellen.
II.
Das Verfahren ist an das Amtsgericht zurückzugeben. Die Voraussetzungen für eine Aktenvorlage an das Rechtsbeschwerdegericht (§ 347 Abs. 2 StPO i.V.m. § 80 Abs. 4 Satz 2 OWiG) und für eine Sachentscheidung des Senats liegen noch nicht vor, da der Antrag des Betroffenen auf Zulassung der Rechtsbeschwerde zwar wirksam eingelegt ist, das Amtsgericht aber bisher nicht über den gleichzeitig mit der Rechtsmitteleinlegung gestellten Antrag des Betroffenen auf "Bewilligung von Prozesskostenhilfe" entschieden hat, welcher als Antrag auf Beiordnung eines Pflichtv...