Entscheidungsstichwort (Thema)
Zeichen. Rechtsfolgenausspruch. Regelfahrverbot. Verkehrszeichen. Verkehrsteilnehmer. KFZ-Führer. Anordnung
Leitsatz (amtlich)
1. Nimmt ein Kfz.-Führer ein Verkehrszeichen über die zulässige Höchstgeschwindigkeit (Zeichen 274) optisch wahr, ist er aber wegen eines darunter befindlichen Überholverbotszeichens (Zeichen 277) und hierzu angebrachter Zusatzschilder der Meinung, dies beziehe sich nicht auf ihn, unterliegt er keinem Tatbestandsirrtum (§ 11 I OWiG), sondern einem Verbotsirrtum i. S.v. § 11 II OWiG (u. a. Anschluss an OLG Bamberg, Beschl. v. 01.12.2015 - 3 Ss OWi 834/15 = StraFo 2016, 116 = OLGSt OWiG § 11 Nr. 5 m. w. N.).
2. Ein (vermeidbarer) Verbotsirrtum führt nicht zwangsläufig zum Wegfall des an sich verwirkten Regelfahrverbots. Vielmehr kommt dies nur in Ausnahmefällen in Betracht, wobei auf den von der höchstrichterlichen Rspr. entwickelten Rechtsgedanken des Augenblicksversagens zurückgegriffen werden kann.
Normenkette
OWiG § 11; BKatV § 4 Abs. 1 S. 1 Nr. 1; StVG § 24 Abs. 1, § 25 Abs. 1 Nr. 1; StVO § 41 Abs. 1, § 49 Abs. 3 Nr. 4
Tatbestand
Das AG hat gegen den Betr. im Beschlussverfahren (§ 72 OWiG) wegen einer als Führer eines Pkw auf einer BAB außerorts begangenen vorsätzlichen Geschwindigkeitsüberschreitung um 44 km/h (§§ 41 I i. V. m. Anl. 2 [Zeichen 274], 49 III Nr. 4 StVO) mit Beschluss vom 24.11.2016 eine Geldbuße von 500 € verhängt. Nach den Feststellungen befuhr der seine Fahrereigenschaft einräumende Betr. am 27.07.2016 um 12.52 Uhr die BAB A 9 in südliche Richtung mit einer Geschwindigkeit von mindestens 104 km/h, obwohl an der Messstelle mit Zeichen 274 die zulässige Höchstgeschwindigkeit auf 60 km/h begrenzt war. Zur Beschilderung des fraglichen Streckenabschnitts hat das AG festgestellt: "Die Beschilderung war vor der Messstelle doppelseitig aufgestellt. Die jeweils vorhandenen Verkehrsschilder sind vertikal angeordnet. An der oberen Stelle befindet sich das Zeichen 274 mit der jeweiligen Limitierung der erlaubten Höchstgeschwindigkeit. Darunter befindet sich das Verkehrszeichen 'Überholverbot' (Zeichen 277), darunter in einem rechteckigen Rahmen die Bezeichnung '2,8 t' und darunter in einem rechteckigen Rahmen die Symbole für Omnibusse und Pkw mit Anhänger. Die Zeichen 274 und 277 sind optisch durch einen waagrechten durchgehenden Strich voneinander getrennt. Die Geschwindigkeitsreglementierung begann zunächst mit einer Reduzierung der erlaubten Höchstgeschwindigkeit auf 100 km/h, anschließend auf 80 km/h, dann auf 60 km/h. Es fand an dem dortigen Rastplatz nämlich eine Lkw-Kontrolle statt, wegen der eigens die Geschwindigkeitslimitierung eingerichtet worden war." Von der Anordnung des im Bußgeldbescheid verhängten einmonatigen Fahrverbots hat das AG mit der Begründung abgesehen, dass der Betr. einem (vermeidbaren) Verbotsirrtum unterlag, weil er "der Meinung war, die Geschwindigkeitsbeschränkungen würden nicht für ihn, sondern nur für Fahrzeuge über 2,8 t, für Pkws mit Anhänger und für Omnibusse gelten." Die gegen den Beschluss gerichtete, auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte und mit der Sachrüge begründete Rechtsbeschwerde der StA erwies sich als erfolgreich.
Entscheidungsgründe
1. In Anbetracht der festgestellten Geschwindigkeitsüberschreitung von 44 km/h liegen die Voraussetzungen für die Anordnung eines Regelfahrverbots nach §§ 24, 25 I 1 StVG, § 4 I 1 Nr. 1 BKatV i. V. m. Nr. 11.3.7 Tab. 1c BKat wegen grober Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers vor. Dies hat das AG auch nicht verkannt. Es hat indes von der Anordnung eines Fahrverbots bei gleichzeitiger Erhöhung des als Regelsatz vorgesehenen Bußgeldes auf 500 € wegen eines vermeidbaren Verbotsirrtums abgesehen. Dies hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.
2. Zu Recht ist das AG allerdings nicht von einem den Vorsatz ausschließenden Tatbestandsirrtum gem. § 11 I 1 OWiG ausgegangen, sondern hat in Übereinstimmung mit der Rspr. des Senats aufgrund der irrtümlichen Einschätzung der Bedeutung des Zusatzschildes einen (vermeidbaren) Verbotsirrtum i. S. d. § 11 II OWiG angenommen (OLG Bamberg, Beschl. v. 01.12.2015 - 3 Ss OWi 834/15 = StraFo 2016, 116 = OLGSt OWiG § 11 Nr. 5 m. w. N.; ebenso: BayObLGSt 1999, 172 = NStZ-RR 2000, 119 = DAR 2000, 172 = VRS 98, 292 = NZV 2000, 300 = VM 2000, Nr. 67; BayObLGSt 2003, 61 = NJW 2003, 193 = ZfS 2003, 430 = OLGSt OWiG § 11 Nr. 3 = DAR 2003, 426 = VRS 105 [2003], 309 = VM 2003 Nr. 75; OLG Bamberg NJW 2007, 3081 = VD 2007, 294 = NZV 2007, 633 = OLGSt StVG § 25 Nr. 37, jeweils m. w. N.; Hentschel/König/Dauer Straßenverkehrsrecht 43. Aufl. § 24 StVG Rn. 34, § 41 StVO Rn. 249 a.E.; Göhler/Gürtler OWiG 16. Aufl. § 11 Rn. 31; a.A. KK/Rengier OWiG 4. Aufl. § 11 Rn. 111; König DAR 2016, 362; Sternberg-Lieben StraFo 2016, 118, die einen Tatbestandsirrtum annehmen wollen). Denn der Betr. nahm nach den tatrichterlichen Feststellungen die Beschilderung als solche optisch wahr, irrte sich also nicht über die tatsächlichen Umstände des Verbots, sondern unterl...