Entscheidungsstichwort (Thema)
Absehen vom Fahrverbot trotz qualifizierten Rotlichtverstoßes bei ,Frühstarter'
Leitsatz (amtlich)
1.
Allein der Umstand, dass der Betr. das für ihn geltende Rotlicht zunächst beachtet, dann jedoch aufgrund einer momentanen Fehlentscheidung als sog. ,Frühstarter' seine Fahrt bei anhaltender Rotlichtphase fortgesetzt hat, rechtfertigt ohne das Hinzutreten sonstiger besonderer Umstände grundsätzlich keine Ausnahme vom Fahrverbot wegen eines qualifizierten Rotlichtverstoßes (Anschluss an OLG Bamberg DAR 2008, 596 f. = OLGSt BKatV § 4 Nr. 7 = VRR 2008, 433 f.).
2.
Über ein bloßes Augenblicksversagen des Betr. als sog. ,Frühstarter' hinaus gehende besondere Umstände können jedoch auch bei einem qualifizierten Rotlichtverstoß ein Absehen vom Regelfahrverbot ausnahmsweise rechtfertigen. Ein solcher Ausnahmefall kann vorliegen, wenn das missachtete Rotlicht gerade nicht dem Schutz des Querverkehrs dient, sondern ausschließlich eine den Verkehrsfluss regelnde Funktion erfüllt und deshalb eine auch abstrakte Gefährdung des Querverkehrs oder anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist.
Normenkette
StVG § 25 I 1; BKatV § 4 I 1 Nr. 4; BKat Nr. 132.2
Tatbestand
Das AG hat den Betr. wegen einer am 19.08.2008 innerorts fahrlässig begangenen Nichtbeachtung einer länger als eine Sekunde andauernden Rotphase (sog. qualifizierter Rotlichtverstoß) zu einer Geldbuße von 125 EUR verurteilt sowie gegen ihn ein Fahrverbot von einem Monat verhängt. Der Betr. befuhr gegen 10.34 Uhr mit seinem Pkw die K.-Straße in südlicher Richtung, wobei er beabsichtigte, an der Kreuzung zur L.-Straße rechts in Richtung Bad L. abzubiegen. Hierzu ordnete er sich auf der Rechtsabbiegerspur ein und kam als erstes Fahrzeug an der Haltelinie der Lichtzeichenanlage, die sowohl für den Geradeausverkehr als auch für den Rechtsabbiegeverkehr Rotlicht anzeigte, zum Stehen. Als die Ampel für den Geradeausverkehr auf grün wechselte, bog der Betr. nach rechts in die L.-Straße ab, obwohl die für Rechtsabbieger geltende Lichtzeichenanlage mit Rotpfeil für Rechtsabbieger bereits seit 42 Sekunden Rotlicht anzeigte. Das Rechtsabbiegerrotlicht dient an dieser Stelle dem Anhalten des Verkehrs, der ansonsten unmittelbar nach dem Rechtsabbiegen vor einem Bahnübergang zum Stehen kommen würde. Ein Fußgängerübergang entlang der K.-Straße über die L.-Straße ist an der betreffenden Stelle nicht vorgesehen. Querverkehr der L.-Straße wird, wenn wie vorliegend der Geradeausverkehr auf der K.-Straße durch Grünlicht freigegeben ist, durch Rotlicht angehalten. Gleiches gilt für Linksabbieger aus dem Gegenverkehr der K.-Straße.
Die Rechtsbeschwerde des Betr. führte zum Wegfall des Fahrverbots.
Entscheidungsgründe
Soweit sich die Rechtsbeschwerde gegen den Schuldspruch richtet, hat die Nachprüfung des Urteils keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Betr. ergeben (§ 349 II StPO i.V.m. § 79 III OWiG). Hingegen rechtfertigen die Urteilsfeststellungen die Verhängung eines Fahrverbots wegen grober Verletzung der Pflichten als Kraftfahrzeugführer i.S.d. § 25 I 1 StVG im konkreten Fall nicht, weil aufgrund der Besonderheiten hier kein Regelfall gemäß Nr. 132.2 des Bußgeldkatalogs (§ 4 I 1 Nr. 4 BKatV) gegeben ist.
1.
Der Verordnungsgeber hat die in § 4 I 1 BKatV bestimmten Pflichtverletzungen als besonders grob gekennzeichnet. Die Erfüllung eines der Tatbestände des § 4 I 1 Nrn. 1 bis 4 BKatV indiziert deshalb das Vorliegen eines groben Verstoßes im Sinne von § 25 I 1 StVG, der zugleich ein derart hohes Maß an Verantwortungslosigkeit im Straßenverkehr offenbart, dass es regelmäßig der Denkzettel- und Besinnungsmaßnahme eines Fahrverbots bedarf (BGHSt 38, 125/134). Von der Anwendung der Bußgeldkatalog-Verordnung kann nur in solchen Einzelfällen abgesehen werden, in denen der Sachverhalt zugunsten des Betr. so erhebliche Abweichungen vom Normalfall aufweist, dass die Annahme eines Ausnahmefalles gerechtfertigt ist, wie dies etwa in Fällen mit denkbar geringer Bedeutung und minimalem Handlungsunwert oder bei möglichen Ausnahmeumständen persönlicher Art der Fall sein kann (BayObLGSt 1994, 56; 100/101; 1996, 3/4 f.).
2.
Auch wenn die Voraussetzungen eines Regelbeispiels gegeben sind, ist der Tatrichter nicht der Prüfung enthoben, ob Umstände des konkreten Falles in objektiver oder subjektiver Hinsicht der Annahme eines Regelfalles entgegenstehen und insbesondere die Verhängung eines Fahrverbots als unangemessen erscheinen lassen. Gerade beim sog. ,qualifizierten' Rotlichtverstoß gemäß Nr. 132.2 BKat sind Fallgestaltungen denkbar, die kein besonders verantwortungsloses Verhalten im Sinne einer groben Pflichtverletzung gemäß § 25 I 1 StVG erkennen lassen (BayObLG DAR 1994, 370 m.w.N.).
3.
Zwar kann nach stRspr. des OLG Bamberg auch der Umstand, dass der Betr. - wie hier - als sog. ,Frühstarter' aufgrund einer momentanen Fehlentscheidung seine Fahrt ungeachtet der für seine Fahrtrichtung Rotlicht anzeigenden Lichtzeichenanlage fortgesetzt hat, einen derartigen Ausnahmefall grunds...