Entscheidungsstichwort (Thema)
Entbehrlichkeit weiterer Entbindungsentscheidung bei bloßer Terminsverlegung
Leitsatz (amtlich)
Die antragsgemäße Entbindung des Betroffenen von der Pflicht zum persönlichen Erscheinen in der Hauptverhandlung nach § 73 II OWiG wirkt bei einer bloßen Verlegung des Hauptverhandlungstermins fort.
Normenkette
OWiG § 73 Abs. 2; StPO § 230; OWiG § 74 Abs. 2; StPO § 338 Nr. 5, § 344 Abs. 2 S. 2
Tatbestand
Das AG hat den in der Hauptverhandlung nicht anwesenden und auch nicht durch einen Verteidiger vertretenen Betr. wegen einer am 16.12.2014 als Führer eines Pkw auf einer BAB begangenen fahrlässigen Geschwindigkeitsüberschreitung um 45 km/h zu einer Geldbuße von 320 € verurteilt und gegen ihn ein aufgrund eines groben Pflichtenverstoßes i.S.d. §§ 24, 25 I 1 1. Alt., 26a I Nr. 3, II StVG i.V.m. § 4 I 1 Nr. 1 BKatV i.V.m. lfd.Nr. 11.3.7 Tab. 1c zum BKat verwirktes Fahrverbot für die Dauer eines Monats angeordnet. Mit seiner Rechtsbeschwerde rügt der Betr. die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Das Rechtsmittel blieb ohne Erfolg.
Entscheidungsgründe
Die Nachprüfung des Urteils aufgrund statthaften (§ 79 I 1 Nrn. 1 und 2 OWiG) und auch im Übrigen zulässigen, insbesondere form- und fristgerecht eingelegten und begründeten Rechtsbeschwerde hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Betr. ergeben (§ 349 II StPO i.V.m. § 79 III 1 OWiG).
1. Insbesondere erweist sich die Rüge, das AG habe in unzulässiger Weise in Abwesenheit des Betr. verhandelt (§ 79 III i.V.m. §§ 73 OWiG, 230, 338 Nr. 5 StPO) als unbegründet. Ihr liegt folgendes Geschehen zugrunde:
a) Das AG, bei dem die Akten am 15.04.2015 eingingen, bestimmte mit Verfügung vom 16.04.2015 Hauptverhandlungstermin auf den 11.05.2015. Mit Schriftsatz vom 07.05.2015 beantragte der Verteidiger Terminsverlegung. Gleichzeitig gab er eine Erklärung des Betr. weiter, in welcher dieser seine Fahrereigenschaft einräumte, den Tatvorwurf zurückwies und die Richtigkeit der Messung bezweifelte. Die Erklärung des Betr. endete mit folgenden Worten: "Weitere Erklärungen möchte ich nicht abgeben. Einen Hauptverhandlungstermin [...] möchte ich nicht wahrnehmen müssen. Ich bin beruflich sehr stark angespannt. Die von mir geleitete Firma hat ihren Sitz in N. Ich bin außerordentlich viel mit dem PKW unterwegs. Den zeitlichen und finanziellen Aufwand für die Wahrnehmung des Termins möchte ich mir nicht zumuten. Ich habe ohnehin alles gesagt, was ich gegenwärtig zu sagen hatte. Das Gericht kann auf der Grundlage meiner obigen Erklärungen eine Entscheidung fällen. In einem Hauptverhandlungstermin würde ich mich auch nicht äußern". Am 07.05.2015 entband das Gericht den Betr. von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen und bestimmte gleichzeitig Hauptverhandlungstermin auf den 01.06.2015. Der dem Betr. mitgeteilte Beschluss hatte folgenden Wortlaut: "Der Betr. [...] wird von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen zum Termin am 01.06.2015 entbunden, § 73 II OWiG". Mit Verfügung vom 11.05.2015 verlegte das AG den Hauptverhandlungstermin wegen Verhinderung eines Zeugen auf den 18.06.2015. Mit Schriftsatz vom 01.06.2015 gab der Verteidiger eine Erklärung des Betr. gegenüber dem AG weiter, in welcher dieser die Einholung eines Sachverständigengutachtens und die Vernehmung eines Zeugen beantragte. Die Erklärung des Betr. endete mit folgenden Worten: "Ich wiederhole nochmals meine Erklärungen und sage abschließend, dass ich mich nicht weiter äußern werde". Eine Reaktion des Gerichts auf das Schreiben erfolgte nicht. Zu Beginn des Hauptverhandlungstermins am 18.06.2015 [...] stellte die Richterin fest, dass der Betr. mit Beschluss vom 07.05.2015 von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen entbunden wurde. Anschließend verhandelte sie in Abwesenheit des Betr. zur Sache.
b) Diese Vorgehensweise war nicht rechtfehlerhaft. Der Betr. war auch für den Hauptverhandlungstermin am 18.06.2015 wirksam von seiner Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen entbunden.
aa) Es ist mit dem Gesetzeswortlaut in Einklang zu bringen, dass die von einem Gericht einmal ausgesprochene Entbindung eines Betr. auch für einen weiteren Termin fortwirken kann (vgl. KK-Senge OWiG 4. Aufl. § 73 Rn. 15 m.w.N.). Der Wortlaut des § 73 II OWiG normiert die Erscheinenspflicht für die Hauptverhandlung als solche und nicht lediglich für einzelne Hauptverhandlungstermine (vgl. auch Meyer NZV 2010, 496). Für den Fall eines Fortsetzungstermins nach lediglich unterbrochener Hauptverhandlung ist dies in der obergerichtlichen Rspr. anerkannt (vgl. KG, Beschl. v. 09.01.2012 - 2 Ss 366/11 [bei [...]]).
bb) Für die Richtigkeit dieses Ergebnisses spricht ferner der Normzweck des § 73 OWiG. Die in § 73 I OWiG normierte Erscheinenspflicht soll der Sachaufklärung dienen (KK-Senge § 73 Rn. 28 ff.). Unter diesem Gesichtspunkt ist auch § 73 II OWiG zu sehen. Ist das Erscheinen des Betr. zur Aufklärung des Tatvorwurfs oder sonstiger für die Rechtsfolgenbemessung relevanter Umstände nicht erforderlich, so hat ihn das...