Leitsatz (amtlich)
1. Fachgerichtliche Entscheidungen sind - auch innerhalb der sonstigen Grenzen ihrer Rechtskraftwirkung - im nachfolgenden Amtshaftungsprozess nur dann vorgreiflich, wenn die vom Fachgericht beurteilte Pflichtenlage der Amtsträgerseite (hier in Bezug auf die fernmündliche Gestattung einer Ergreifungsdurchsuchung durch den Ermittlungsrichter des Bereitschaftsdienstes) sowohl drittschützenden Charakter i.S.d. § 839 I BGB hat als auch in einem rechtsgutspezifischen Zusammenhang mit dem (jeweils) geltend gemachten Primärschaden steht.
2. Soweit das Verhalten des Amtsträgers - wie bei richterlichen Tätigkeiten außerhalb des Anwendungsbereichs des § 839 Abs. 2 S. 1 BGB und bestimmten staatsanwaltschaftlichen Handlungen - schon auf der Tatbestandsebene einer Amtspflichtverletzung - nur auf seine (Un-)Vertretbarkeit hin überprüft werden kann, entfällt von vornherein die Bindung an die Entscheidung eines Fachgerichts, dessen Beurteilung nicht an diesem haftungskonformen Prüfungsmaßstab orientiert ist (Fortführung von BGHZ 187, 286).
3. Die Pflicht zur Dokumentation fernmündlicher Eilentscheidungen des sog. Bereitschaftsrichters hat keinen drittschützenden Charakter i.S.d. § 839 I, 1 BGB (Anschluss an BGH NJW 2005, 1060 = NStZ 2005, 392 und BGH NStZ-RR 2009, 142).
4. Die Anordnung einer Ergreifungsdurchsuchung bei einem Dritten nach § 103 I, 1 StPO erfordert nicht die Prognose einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit des Durchsuchungserfolgs (entgegen OLG Düsseldorf wistra 2008, 318).
Normenkette
BGB § 839; StPO § 103 Abs. 1 S. 1, § 104 Abs. 1
Verfahrensgang
LG Aschaffenburg (Urteil vom 14.11.2012) |
Tenor
I. Auf die Berufung des Beklagten wird das Grundurteil des LG Aschaffenburg vom 14.11.2012 aufgehoben.
II. Die Klage wird abgewiesen, soweit aus abgetretenem Recht des Hauseigentümers Schadensersatz (bzw. Entschädigung) wegen Beschädigung der Wohnungstüre verlangt wird.
III. Im Übrigen wird der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Berufungsverfahrens - an das LG zurückverwiesen.
IV. Von der Erhebung von Gerichtskosten für das Berufungsverfahren wird abgesehen.
V. Die Revision wird nicht zugelassen.
VI. Berufungsstreitwert: 9.075,49 EUR.
Gründe
I. Der Kläger macht - im Rahmen einer Teilklage und zugleich aus abgetretenem Recht seines Vermieters - Schadensersatzansprüche wegen einer richterlich angeordneten Durchsuchung seiner (Miet-)Wohnung geltend. Dem liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
1. In den Nachmittagsstunden des 10.1.2009 (Samstag) hatte die Staatsanwaltschaft Aschaffenburg beim Ermittlungsrichter (des Bereitschaftsdienstes) die zunächst fernmündlich übermittelte Gestattung der Durchsuchung der Mietwohnung des Klägers erwirkt. Die Anordnung war zum Zweck der Ergreifung des unter dringendem Mordverdacht stehenden R. ergangen, nach dem seit Monaten mit Haftbefehl gefahndet und der später - inzwischen auch rechtskräftig - vom Schwurgericht Aschaffenburg u.a. wegen Mordes und erpresserischen Menschenraubs zu einer lebenslangen (Gesamt-)Freiheitsstrafe verurteilt wurde.
Die klägerische Wohnung befindet sich im 1. Stock eines Anwesens in der Ortsmitte der Landgemeinde H. in Unterfranken. Die Durchsuchungsmaßnahme war von der KPI angeregt worden, nachdem sich in der Mittagszeit des 10.1.2009 zwei Anrufer - unabhängig voneinander - bei der örtlichen Polizeidienststelle gemeldet und Hinweise auf das Auftauchen des gesuchten R. im Ortszentrum von H. (erster Anrufer aus dem Nachbarort) bzw. auf den Aufenthalt von R. in der klägerischen Wohnung (anonymer Anruf) gegeben hatten. Vom Vorliegen einer richterlichen Anordnung, die auch eine Durchsuchung zur Nachtzeit gestattete, wurde die KPI durch die diensthabende Staatsanwältin gegen 15.15 Uhr unterrichtet.
Das mit dem Vollzug der Maßnahme betraute polizeiliche Sondereinsatzkommando (fortan: SEK), das sich mit einem Zweitschlüssel Zutritt zum Anwesen verschafft hatte, drang am 11.1.09 gegen 2.30 Uhr gewaltsam in die Wohnung des Klägers ein, den es - unter nach wie vor ungeklärten Umständen - in seinem Schlafzimmer antraf. Hierbei versetzte einer der SEK-Beamten dem Kläger einen so wuchtigen Schlag ins Gesicht, dass er einen Schleimhautriss in der rechten Nasenhaupthöhle erlitt. Auch das anschließende Verhalten des Klägers bzw. die weitere Vorgehensweise des SEK sind bis zuletzt streitig geblieben. Der gesuchte Beschuldigte selbst konnte in keiner der Räumlichkeiten des Anwesens angetroffen werden.
Jeweils mit Beschluss vom 29.12.2009 hat die Strafkammer des LG Aschaffenburg im Strafverfahren gegen R. auf Antrag des Klägers die Rechtswidrigkeit sowohl der Durchsuchungsanordnung des Ermittlungsrichters vom10.1.2009 als auch der "Art und Weise der Ausführung der Durchsuchungsanordnung" festgestellt.
2. Der Kläger verlangt vom verklagten Freistaat den Ersatz sämtlicher materiellen Schäden, die einmal durch den Aufbruch der Wohnungstüre entstanden und zum anderen ihm selbst aus der erlittenen Gesichtsverletzung - einschließlich ei...