Leitsatz (amtlich)
1. Auch in der Ausgestaltung der Nr. 5.1. (hier: 2. Absatz) des sog. Derivat-Erlasses des Bayer. Staatsministeriums des Inneren vom 8. November 1995 genügt das kommunalrechtliche Spekulationsverbot nicht den Bestimmtheitsanforderungen an ein konkretes Verbot im Sinne des § 134 BGB.
2. Auch das (deutliche) Ungleichgewicht der wechselseitigen Chancen und Risiken, wie es durch die Koppelung der Zahlungsstruktur eines sog. CMS-Spread-Ladder (CSL)-Swaps mit einem einseitigen Beendigungsrecht der Bank ohne Ausgleichszahlung bedingt ist, erfüllt nicht die Anforderungen an ein sittenwidriges - auffälliges oder sogar krasses - Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung im Sinn des § 138 BGB.
3. Für das Vorliegen einer Individualabrede im Sinn des § 305b BGB über die gesamte vertragliche Zahlungsstruktur reicht es auch bei einem sog. CSL-Swap aus, dass die Bank ihr ursprüngliches Angebot nicht nur hinsichtlich der (bzw. eines der) beiden Festzinssätze für die wechselseitigen "fixen" Zahlungen im ersten Geschäftsjahr, sondern auch bezüglich der ursprünglich vorgegebenen Zahlenwerte für den als "Strike" bezeichneten Parameter in der Berechnungsformel für den variablen Zinssatz nachgebessert hat.
4. Ein Wertpapierdienstleister ist grundsätzlich nicht verpflichtet, die Beratung eines kommunalen Versorgungsunternehmens auch auf das Bestehen eines allgemeinen Spekulationsverbots oder gar auf die Frage einer "möglichen" Unvereinbarkeit des beabsichtigten Geschäfts mit diesem Verbot (bzw. den entsprechenden Verwaltungsvorschriften) zu erstrecken (im Anschluss an OLG Dresden ZIP 2004, 1489 gegen OLG Naumburg WM 2005, 1313).
5. Die Vermutung eines aufklärungsrichtigen Verhaltens ist widerlegt, wenn die Kundenseite behauptet, sie hätte bereits bei Unterrichtung über einen bestimmten Ausschnitt des aufklärungserheblichen Sachverhaltes (hier: das mehrmalige Auftreten einer inversen Zinsstruktur in der Vergangenheit) von dem Geschäft Abstand genommen, sich aber dann entgegen ihrem Vorbringen herausstellt, dass jedenfalls über diesen konkreten Teilaspekt aufgeklärt worden war.
6. Eine Kundenseite, die von einem seit mehreren Jahren (auch) im Derivat-Geschäft tätigen Finanzfachmann (hier: einem diplomierten Betriebswirt und Leiter des "Finanzmanagements" einer kommunalen Konzerns) vertreten wird, muss auch bei Verhandlungen über einen CSL-Swap weder über die Optionsstruktur eines solchen Geschäfts noch über das sog. Marktwertrisiko (einschließlich eines anfänglich negativen Marktwerts) aufgeklärt werden. Sie hat auch keinen Anspruch auf eine Offenlegung der finanzmathematischen und kalkulatorischen Grundlagen, nach denen die Bank den sog. Rückzahlungswert im Fall einer vom Kunden vorzeitig gewünschten Vertragsbeendigung berechnet.
7. In einem solchen Fall besteht auch kein Aufklärungsbedarf bezüglich der Höhe der von der Bank in die Berechnungsformel eingepreisten "Gewinnmarge".
8. Die Rechtsprechungsgrundsätze zum Ausschluss des Mitverschuldenseinwandes der Beraterseite sind von vornherein nicht einschlägig, wenn dem Kunden angelastet wird, nicht nur den hochspekulativen Charakter des schadensträchtigen Geschäfts vollauf erfasst, sondern sich zugleich über zutreffende Hinweise der Beraterseite bzw. über unabhängig vom Verlauf der Beratungsgespräche erkannte Risikofaktoren hinweggesetzt zu haben (im Anschluss an BGH NJW 1980, 1095).
Verfahrensgang
Tenor
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Endurteil des Landgerichts Würzburg vom 31. März 2008 abgeändert.
II. Beide Klagen werden jeweils in vollem Umfang abgewiesen.
III. Die Berufungen der Klägerinnen werden zurückgewiesen.
IV. Von den Kosten des Rechtsstreits in beiden Instanzen haben die Klägerin zu 1) jeweils 2/7 und die Klägerin zu 2) jeweils 5/7 zu tragen.
V. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerinnen können die Vollstreckung durch die Beklagte jeweils in Höhe von 120% des aus dem Urteil vollstreckbaren Betrages abwenden, sofern nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in dieser Höhe geleistet hat.
VI. Die Revision gegen dieses Urteil wird nicht zugelassen.
VII. Berufungsstreitwert: 2.872.833,20 Euro.
Tatbestand
Die klagenden Gesellschaften - eine AG (Klägerin zu 1) sowie eine GmbH (Klägerin zu 2) - nehmen die verklagte Großbank wegen verlustreicher Zinstermingeschäfte jeweils auf Rückerstattung geleisteter Zins- bzw. Ausgleichszahlungen in Anspruch. Dem liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
1. Beide Klägerinnen (im folgenden auch: "Klägerseite" oder "AG" bzw. "GmbH") gehören als kommunale Versorgungsbetriebe zum konzernmäßig strukturierten Unternehmesverbund der W-GmbH (künftig nur: WVV), einer Holdinggesellschaft, deren Gesamtanteile zu 100 % von der Stadt X. gehalten werden. In den Jahren 2003 bis 2005 verzeichnete die AG Umsätze zwischen rund 177 Millionen Euro und 237 Millionen Euro (bei einem Cash-flow von knapp 24 Millionen Euro im Jahre 2003), während die GmbH im gleichen Zeitrau...