Entscheidungsstichwort (Thema)
Widersprüchliche Urteilsfeststellungen zur Schuldform
Leitsatz (amtlich)
1.
Auch in Bußgeldsachen muss den Urteilsgründen zu entnehmen sein, welche Feststellungen der Tatrichter zu den objektiven und subjektiven Tatbestandselementen getroffen hat und welche Erwägungen der Bemessung der Geldbuße und der Anordnung oder dem Absehen von Nebenfolgen zugrunde liegen (§ 267 I und III StPO i.V.m. § 71 OWiG).
2.
Eine für das Rechtsbeschwerdegericht hinreichende Prüfungs- bzw. Entscheidungsgrundlage mit der Folge eines zur Urteilsaufhebung zwingenden sachlich-rechtlichen Mangels fehlt, wenn die tatrichterlichen Feststellungen zur inneren Tatseite unvollständig, unklar oder widersprüchlich sind oder wenn sie den Unrechts- und Schuldgehalt der Tat nicht erkennen lassen.
Normenkette
StPO § 267 I; OWiG § 71; StVG § 24 I; BKatV § 4 I 1 Nr. 1; BKat Nr. 11.3.10 Tabelle 1c
Tatbestand
Das AG hat den Betr. wegen einer "Verkehrsordnungswidrigkeit des fahrlässigen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaft um 81 km/h" zu einer Geldbuße von 500 Euro verurteilt und gegen ihn ein Fahrverbot von 3 Monaten verhängt. Hierzu hat es festgestellt: "Der Betr. fuhr am 24.05.08 um 19.34 Uhr mit dem Pkw (...) auf der Bundesautobahn bei km 304,75 in nördlicher Richtung. An der genannten Stelle war die zulässige Höchstgeschwindigkeit durch Zeichen 274 (doppelseitige Aufstellung) auf 100 km/h beschränkt. Die Verkehrsschildaufstellung hatte sich bei km 304,947 befunden, davor war die zulässige Höchstgeschwindigkeit bei km 305,49 durch doppelseitige Aufstellung auf 120 km/h beschränkt. Dennoch fuhr der Betr. mit einer Geschwindigkeit von mindestens 181 km/h." Im Rahmen der rechtlichen Würdigung hat das AG sodann ausgeführt, dass der Betr. "durch sein Verhalten (...) eine fahrlässige Ordnungswidrigkeit gem. §§ 41 Abs. 2, 49 Abs. 3 Ziff. 4 StVO i.V.m. § 24 StVG begangen" hat. Unter Ziffer V. seiner Urteilsgründe hat das AG schließlich zur Rechtsfolgenbemessung folgende Ausführungen getroffen: "Gemäß Ziff. 11.3.10 BKat war eine Geldbuße i.H.v. 375.- EUR schuld- und tatangemessen. Gemäß § 4 I BKatV musste daneben ein Fahrverbot nach § 25 StVG für die Dauer von 3 Monaten verhängt werden. Die Geldbuße von 375.- EUR war wegen den Vorbelastungen auf 500.- EUR zu erhöhen. Nach Überzeugung des Gerichts liegt eine vorsätzliche Tatbegehung vor. Es hatte an der Messstelle eine wiederholte Verkehrsschildaufstellung stattgefunden, die Geschwindigkeitsüberschreitung des Betr. war so erheblich, so dass zumindest bedingter Vorsatz anzunehmen ist."
Die gegen das Urteil gerichtete Rechtsbeschwerde des Betr. erwies sich als erfolgreich.
Entscheidungsgründe
I.
Die statthafte (§ 79 I 1 Nrn. 1 und 2 OWiG) und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde erweist sich bereits auf die Sachrüge hin als begründet, weshalb auf die weiteren Beanstandungen nicht mehr einzugehen war. Das Urteil kann - wie der Betr. zu Recht beanstandet - aufgrund widersprüchlicher Ausführungen zur inneren Tatseite keinen Bestand haben.
1.
Wenn auch in Bußgeldsachen an die Abfassung der Urteilsgründe keine übertrieben hohen Anforderungen zu stellen sind, müssen diese doch wenigstens so beschaffen sein, dass ihnen das Rechtsbeschwerdegericht im Rahmen der Nachprüfung einer richtigen Rechtsanwendung entnehmen kann, welche Feststellungen der Tatrichter zu den objektiven und subjektiven Tatbestandselementen getroffen hat und welche tatrichterlichen Erwägungen der Bemessung der Geldbuße und der Anordnung oder dem Absehen von Nebenfolgen zugrunde liegen (§ 267 I und III StPO i.V.m. § 71 OWiG). Eine hinreichende Prüfungs- bzw. Entscheidungsgrundlage fehlt insbesondere, wenn die Feststellungen zur Tat - auch zur inneren Tatseite - unvollständig, unklar oder widersprüchlich sind oder wenn sie den Unrechts- und Schuldgehalt der Tat nicht erkennen lassen, weil die Schuldform nicht eindeutig festgestellt ist (OLG Zweibrücken, Beschluss vom 23.04.2008 - 1 Ss 59/08 ≪bei [...]≫; OLG Düsseldorf NZV 1994, 117 f. = VRS 86, 353; OLG Hamm VRS 90, 210 f.; Senge in KK-OWiG 3. Aufl. § 79 Rn. 143; Göhler- Seitz OWiG 15. Aufl. § 79 Rn. 32, jeweils m.w.N.; vgl. auch OLG Bamberg, Beschluss vom 02.07.2007 - 3 Ss OWi 849/07 = VRS 2007, 238 f. = VerkMitt. 2008, Nr. 15 zu widersprüchlichen Feststellungen, ob der Geschwindigkeitsverstoß innerhalb oder außerhalb geschlossener Ortschaften begangen wurde).
2.
Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil hier nicht gerecht. Die bisherigen Feststellungen und die ihnen zugrunde liegende Beweiswürdigung erweisen sich als widersprüchlich und tragen demgemäß bereits den Schuldspruch und damit auch die verhängten Rechtsfolgen nicht. Nach den Urteilsgründen bleibt nämlich unklar, ob das AG den Betr. entsprechend der nach dem Hauptverhandlungsprotokoll vom 01.04.2010 verkündeten Urteilsformel lediglich wegen einer fahrlässigen Geschwindigkeitsüberschreitung verurteilt hat oder aber der Verurteilung im Schuld- und Rechtsfolg...