Entscheidungsstichwort (Thema)
Neuerliche Strafaussetzung aufgrund behandlungsbedingt eingetretener Stabilisierung der Täterpersönlichkeit
Leitsatz (amtlich)
1. Werden Straftaten während einer Bewährungszeit begangen, ist zwar eine erneute Strafaussetzung zur Bewährung nicht von vornherein ausgeschlossen. Allerdings muss es sich bei den Umständen, die der Tatrichter zum Beleg seiner Erwartung einer straffreien Lebensführung des Angeklagten trotz des Bewährungsversagens heranzieht, um solche handeln, die zeitlich der Tatbegehung nachfolgten.
2. Stützt der Tatrichter eine positive Sozialprognose auf eine "Stabilisierung der allgemeinen psychische Situation" des unter Bewährung stehenden Angeklagten infolge einer psychiatrischen und medikamentösen Behandlung, ist dies nur dann rechtsfehlerfrei, wenn hinreichende tatsächliche Feststellungen zu Art und Ausmaß der psychischen Situation getroffen sind und überdies ein Zusammenhang mit der Delinquenz des Angeklagten erwiesen ist.
Normenkette
StGB § 56 Abs. 1
Tatbestand
Das AG verurteilte den Angekl. wegen Diebstahls in 3 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 8 Monaten. Auf seine wirksam auf die Frage der Strafaussetzung zur Bewährung beschränkte Berufung hat das LG die Vollstreckung der Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: "Der Angekl. geht in dem von ihm ausgeübten Beruf vollständig auf; der Verlust seines Arbeitsplatzes würde mehr als bei anderen Personen zum Verlust der psychischen Stabilität führen. Der Angekl. hat es erst in letzter Zeit geschafft, sich [...] vom Einflussbereich seines Elternhauses abzugrenzen [...], um so an Selbstvertrauen zu gewinnen, so dass der auf ihm [...] lastende seelische Druck nachlässt und nicht mehr zu erwarten ist, dass er in konflikthaften Situationen irrational mit neuen Straftaten reagiert. Hierzu hat auch das sich nunmehr gut entwickelte und vertiefte Verhältnis zum Bewährungshelfer beigetragen sowie der Umstand, dass die psychische Situation des Angekl. durch die begleitende psychiatrische und insbesondere medikamentöse Behandlung stabilisiert werden konnte. [...] In Anbetracht seiner außergewöhnlichen, nahezu kindhaften Persönlichkeitsstruktur haben die Angst um den Verlust seines geliebten Arbeitsplatzes und das neuerliche Gerichtsverfahren nach Überzeugung der Kammer auf den Angekl. nunmehr einen derartigen Eindruck gemacht, dass auch die Verteidigung der Rechtsordnung die Vollstreckung der erkannten Freiheitsstrafe nicht gebietet." Die gegen die Berufungsentscheidung zu Ungunsten des Angeklagten geführte, mit der Sachrüge begründete Revision der StA führte zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Revision ist erfolgreich, weil die Ausführungen der Berufungskammer zur günstigen Legalprognose nach § 56 I StGB rechtsfehlerhaft sind.
1. Wie die Strafzumessung ist auch die Entscheidung über eine Strafaussetzung zur Bewährung grundsätzlich Sache des Tatrichters. Ihm steht bei der Beantwortung der Frage, ob die Vollstreckung der verhängten Freiheitsstrafe zur Bewährung auszusetzen ist, weil zu erwarten ist, dass der Angekl. sich schon die Verurteilung zur Warnung dienen lassen und künftig auch ohne die Einwirkung des Strafvollzugs keine Straftaten mehr begehen wird (§ 56 I StGB), ein weiter Bewertungsspielraum zu, in dessen Rahmen das Revisionsgericht eine rechtsfehlerfrei begründete Entscheidung hinzunehmen hat. Das Revisionsgericht kann die Entscheidung deshalb grundsätzlich nur auf Ermessensfehler und Rechtsirrtümer überprüfen (vgl. nur BGH, Urt. v. 22.07.2010 - 5 StR 204/10 = NStZ-RR 2010, 306 sowie Senatsurteile v. 24.01.2012 - 3 Ss 126/11 [bei [...]], 12.11.2013 - 3 Ss 106/13 = OLGSt StGB § 56 Nr. 23 und v. 28.01.2014 - - 3 Ss 118/13 [unveröffentlicht]), was dann der Fall ist, wenn unzutreffende Maßstäbe angewandt, nahe liegende Umstände übersehen oder festgestellte Umstände fehlerhaft gewichtet wurden (vgl. Fischer StGB 63. Aufl. § 56 Rn. 11 m.w.N.).
2. Die Begründung des LG für seine Erwartung, der Angekl. werde sich schon allein die Verurteilung zur Warnung dienen lassen und künftig ohne die Einwirkung des Strafvollzugs keine Straftaten mehr begehen (§ 56 I 1 StGB), hält angesichts dieses Maßstabs einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
a) Für eine günstige Täterprognose nach § 56 I StGB kommt es auf die im Zeitpunkt der tatrichterlichen Verhandlung zu bejahende Erwartung künftiger straffreier Lebensführung an, wobei für diese Erwartung eine durch Tatsachen begründete Wahrscheinlichkeit sprechen muss. Hierzu hat der Tatrichter eine erschöpfende individuelle Gesamtwürdigung aller Umstände vorzunehmen, welche Rückschlüsse auf das künftige Verhalten des Täters zulassen. Bei einem Angekl., der trotz bewilligter Strafaussetzung zur Bewährung erneut straffällig geworden ist, kann vor allem dann, wenn er - wie hier - zeitnah nach solchen Entscheidungen und während offener Bewährung weitere Straftaten begeht, ...