Leitsatz (amtlich)
1. Eine die Bürgenstellung i.S.d. § 776 S. 1 BGB beeinträchtigende Aufgabe einer Sicherheit durch den Bürgschaftsgläubiger (hier: Abtretung eines erstrangigen Teils einer vom Schuldner gestellten Sicherungsgrundschuld) begründet - im Umfang des Verlusts des Sicherungsrechts - nicht lediglich ein Leistungsverweigerungsrecht des Bürgen, sondern zieht ipso jure den Wegfall, nämlich das unmittelbar eintretende Erlöschen der Bürgschaftsforderung nach sich.
2. Auch dann, wenn der Bürgschaftsgläubiger später den identischen oder einen gleichartigen und gleichwertigen Sicherungsgegenstand (zurück)erlangt, lebt die nach § 776 S. 1 BGB untergegangene Bürgschaftsforderung nicht wieder auf.
3. Zur Bemessung des Umfangs der Befreiung des Bürgen nach § 776 S. 1 BGB.
Normenkette
BGB § 776 S. 1
Verfahrensgang
LG Aschaffenburg (Urteil vom 29.06.2011; Aktenzeichen 31 O 424/10) |
Tenor
1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des LG Aschaffenburg vom 29.6.2011 - 31 O 424/10, teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Der Beklagte wird als Gesamtschuldner neben den Herren S., J. und A. verurteilt, an die Klägerin 306.000 EUR nebst Zinsen hieraus i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1.1.2012 zu bezahlen Zug um Zug gegen Abtretung eines erstrangigen Teils i.H.v. 306.000 EUR der zugunsten der Klägerin bestellten Grundschuld i.H.v. 1.100.000 EUR, eingetragen im Grundbuch von T. (AG O.), Blatt x1, x2, x3 und x4 jeweils in erster Rangstelle für die Flurstücksnummern xxx/5, xxx/6 und xxx/7.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Von den Kosten des Rechtsstreits beider Instanzen haben die Klägerin 85 % und der Beklagte 15 % zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Beide Parteien können die Zwangsvollstreckung der jeweils anderen Partei durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Zwangsvollstreckung Sicherheit i.H.v. 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.
4. Die Revision gegen dieses Urteil wird zugelassen.
Gründe
I. Die Klägerin verlangt vom Beklagten als Gesamtschuldner neben drei weiteren Bürgen sowie Zug um Zug gegen Abtretung einer Grundschuld die Zahlung von 2.000.000 EUR aus einem Bürgschaftsvertrag. Die Parteien streiten darüber, ob der Beklagte gem. § 776 BGB (ganz oder teilweise) von seiner Leistungspflicht frei geworden ist.
Die Klägerin gewährte der Z. GmbH & Co. KG (im Folgenden: Hauptschuldnerin) aufgrund Darlehensvertrags vom 11.7.2008 ein Darlehen i.H.v. 2.000.000 EUR (vgl. Anl. K2). Der Beklagte wiederum übernahm gegenüber der Klägerin (zusammen mit drei weiteren Bürgen) unter demselben Datum für alle Verpflichtungen der Hauptschuldnerin aus diesem Darlehen eine selbstschuldnerische Bürgschaft über 2.000.000 EUR (vgl. Anl. K1).
Die Klägerin kündigte das Darlehen mit Schreiben vom 30.9.2010 wegen drohender Vermögensverschlechterung der Hauptschuldnerin (vgl. Anl. K3) und forderte den Beklagten mit Schreiben ihrer Prozessbevollmächtigten ebenfalls vom 30.9.2010 zur Zahlung der Bürgschaftssumme auf (vgl. Anl. K4). Die Hauptschuldnerin, über deren Vermögen inzwischen das Insolvenzverfahren eröffnet ist, befindet sich gegenüber der Klägerin mit mehreren Zinszahlungen und jedenfalls mit einer Tilgungsrate im Rückstand.
Die Hauptschuldnerin hatte der Klägerin zur Sicherung der Ansprüche aus dem Darlehen (vgl. § 7 des Darlehensvertrags, Anl. K1) am 7.7.2008 eine erstrangige werthaltige (Buch-)Grundschuld i.H.v. 2.000.000 EUR an ihrem Teileigentum am Handballleistungszentrum T. bestellt. Die Klägerin trat hiervon am 9.3.2009 einen erstrangigen Teilbetrag i.H.v. 1.100.000 EUR mit den darauf seit dem 11.7.2008 entfallenden Nebenleistungen und Zinsen i.H.v. 18 v.H. jährlich an die X-Bank (im Folgenden: X-Bank) zur Sicherung zweier Darlehen einer Fa. S. GmbH & Co. KG (im Folgenden: S.) ab.
Der Beklagte hat sich allein mit der Einwendung aus § 776 BGB verteidigt. Die Klägerin habe die Grundschuld als Sicherheit jedenfalls teilweise aufgegeben und könne sie ihm daher nicht mehr übertragen, weshalb er als Bürge frei geworden sei.
Das LG hat der Klage stattgegeben. Der Beklagte sei nicht gem. § 776 BGB von seiner Leistungsverpflichtung befreit, denn die Klägerin habe die Sicherheit nicht im Sinne dieser Vorschrift aufgegeben. Das ergebe sich aus Sinn und Zweck der Bestimmung, mit der verhindert werden solle, dass der nach Leistung an die Stelle des Gläubigers tretende Bürge im Verhältnis zum Schuldner schlechter als der Gläubiger gestellt werde. Bei sachgerechter wirtschaftlicher Betrachtungsweise könne diese Regelung aber nur dann eingreifen, wenn feststehe, dass der Bürge weder das Sicherungsrecht noch einen gleichwertigen Ersatz erlange. Das aber stehe derzeit nicht fest, weil die Grundschuld nicht untergegangen und auch wieder erlangbar sei. Der Schutz des Bürgen werde durch die Zug-um-Zug-Verurteilung gewährleistet. Wegen der Einzelheiten wird auf Tatbestand und Entscheidungsgründ...