Entscheidungsstichwort (Thema)
Schadensersatz: Berufsaufgabe des Vaters zur persönlichen Förderung des schwerstgeschädigten Kindes
Leitsatz (amtlich)
1. Ein aufgrund schwerer Unfallverletzungen körperlich und geistig behindertes und dadurch in seiner natürlichen Entwicklung gehemmtes Kind hat gegen den Schädiger bis zur Grenze der Unverhältnismäßigkeit Anspruch auf Ersatz des Aufwands für eine Förderung, die seine Leistungsfähigkeit so weit als möglich dem Stand annähert, den es ohne den Unfall bei normaler Entwicklung erlangt hätte.
2. Es kann im Rahmen der dem geschädigten Kind zustehenden und durch seine gesetzlichen Vertreter wahrgenommenen Dispositionsfreiheit liegen, den vermehrten Bedarf durch Inanspruchnahme intensiver persönlicher Förderleistungen seines Vaters im häuslichen Umfeld anstatt durch stationäre Vollzeitbetreuung in einer entsprechenden Einrichtung oder durch ambulante Fördermaßnahmen externer Fachkräfte auszugleichen.
3. Wenn und solange die Förderung durch den Vater am ehesten die begründete Chance auf einen Ausgleich der Leistungsdefizite bietet, gleichwertige Alternativen nicht zur Verfügung stehen und die Grenze der Unverhältnismäßigkeit nicht überschritten wird, kann dies sogar dann in Betracht kommen, wenn dem Vater die gleichzeitige Berufsausübung dadurch unmöglich wird.
4. Der Verdienstausfall des Vaters kann in einem solchen Fall zur Bemessung des Ersatzanspruchs des geschädigten Kindes herangezogen werden.
Normenkette
BGB a.F. § 249 Sätze 1-2, § 251 Abs. 1, 2 S. 1, § 843 Abs. 1
Verfahrensgang
LG Aschaffenburg (Urteil vom 21.12.2004; Aktenzeichen 1 O 288/01 ER) |
Tenor
I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des LG Aschaffenburg vom 21.12.2004 abgeändert.
II. Die Beklagten werden verurteilt, als Gesamtschuldner an den Kläger - über das zuerkannte Schmerzensgeld und den in Ziff. I. der angefochtenen Entscheidung ausgeurteilten Betrag von 69.941,33 EUR nebst Zinsen hinaus - weitere 101.720,19 EUR nebst Zinsen hieraus i.H.v. 5 %-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 29.3.2004 zu bezahlen.
III. Die weiter gehende Berufung des Klägers wird zurückgewiesen. Insoweit bleibt die Klage abgewiesen.
IV. Die Kosten des Berufungsverfahrens haben der Kläger zu 1/3 und die Beklagten als Gesamtschuldner zu 2/3 zu tragen.
Von den Kosten des Rechtsstreits in erster Instanz haben zu tragen
- der Kläger 1/4 der Gerichtskosten und der außergerichtlichen Kosten der Beklagten,
- die Beklagten als Gesamtschuldner 9/20 der Gerichtskosten und der außergerichtlichen Kosten des Klägers
- und die Beklagten zu 1) und 3) als Gesamtschuldner weitere 6/20 der Gerichtskosten und der außergerichtlichen Kosten des Klägers.
Im Übrigen haben die Parteien ihre außergerichtlichen Kosten selbst zu tragen.
V. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Beklagten können die Vollstreckung seitens des Klägers durch Sicherheitsleistung i.H.v. 120 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.
Der Kläger kann eine Vollstreckung seitens der Beklagten durch Sicherheitsleistung i.H.v. 120 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Kostenbetrags abwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags leisten.
VI. Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf 151.997,20 EUR festgesetzt.
VII. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Der Kläger nimmt die Beklagten wegen einem Verkehrsunfall vom 13.6.1996, durch den er schwer verletzt wurde, auf Schadensersatz in Anspruch.
Die alleinige Haftung der Beklagten aus dem Unfallereignis ist dem Grunde nach unstreitig. Der Schmerzensgeldanspruch des Klägers und weitere Ansprüche auf materiellen Schadensersatz sind vom LG rechtskräftig verbeschieden worden. Gegenstand des Berufungsverfahrens ist allein die Höhe des geltend gemachten Ersatzanspruchs wegen der vom Vater des Klägers seit 1.12.1999 fortlaufend persönlich durchgeführten Intensivfördermaßnahmen (insb. tägliche Lese-, Schreib- und Rechenübungen, Repetition der schulischen Lerninhalte, Erarbeitung und Fortentwicklung des Förderkonzeptes, Koordination mit den externen Fördermaßnahmen und organisatorische Durchführung). Das LG hat den für die Zeit bis 31.3.2004 in Höhe des Bruttoverdienstausfalls des Vaters (Bruttomonatsgehalt bei Beendigung des Dienstverhältnisses 7.283,29 DM bei jährlich 14 Monatsgehältern) eingeklagten Anspruch nur teilweise, nämlich nur in Höhe der Kosten einer zwei Stunden täglich beschäftigten externen Kraft und begrenzt auf die Zeit bis Ende 2003 für begründet erachtet. Das LG hat den Aufwand für die Förderung durch den Vater mit 147.000 DM beziffert (2 Stunden × 50 DM × 30 Tage × 49 Monate). Diesen Betrag hat es vermehrt um weitere nicht mehr streitige materielle Schadenspositionen i.H.v. insgesamt 44.580,01 DM und vermindert um anzurechnende Leistungen der Pflegeversicherung und Vorschussleistungen der Drittbeklagten ...