Verfahrensgang
AG Braunschweig (Entscheidung vom 01.09.2003; Aktenzeichen 6 Cs 904 Js 30862/03) |
Tenor
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Amtsgericht Braunschweig vom 01. September 2003 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Braunschweig zurückverwiesen.
Gründe
Das als sog. Sprungrevision zulässige Rechtsmittel des Angeklagten hat Erfolg.
I.
Das Amtsgericht hat den Einspruch des Angekl. gegen den Strafbefehl vom 22.07.03 in der Hauptverhandlung am 01. Sept. 03 gem. § 412 StPO verworfen, weil dieser ohne Angabe von Entschuldigungsgründen nicht erschienen war.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung formellen und (allgemein) materiellen Rechts rügt. Der Verfahrensrüge liegt folgendes Prozeßgeschehen zugrunde:
Am 14.08.03 hat der Amtsrichter Termin zur Hauptverhandlung auf den 01.09.03 (Montag) anberaumt. Die Ladung ist dem Angeklagten am 21.08.03 zugegangen. Mit Schreiben vom 20.08.03, beim Amtsgericht eingegangen am 22.08.03, hat sich RA A. als Verteidiger gemeldet und zugleich um Akteneinsicht gebeten. Am 25.08.03 hat der Verteidiger über den Angeklagten von dem Verhandlungstermin Kenntnis erlangt. Seine Ladung ist allerdings erst unter dem 28.08.03 gefertigt und an ihn abgesandt worden. Da dieser am 01.09.03 um 11.00 Uhr einen Termin vor dem Landgericht Stendal wahrzunehmen hatte, hat er beim Amtsgericht die Aufhebung des Termins beantragt und gegen den ablehnenden Beschluss vom 29.08.03 (Freitag) am 01.09.03 Beschwerde eingelegt sowie den erkennenden Amtsrichter zugleich wegen der Besorgnis der Befangenheit abgelehnt. Das Amtsgericht hat der Beschwerde in der um 11.14 Uhr begonnenen Hauptverhandlung nicht abgeholfen, das Ablehnungsgesuch verworfen und gegen 14.07 Uhr das angefochtene Urteil erlassen.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat die Verwerfung der Revision beantragt.
II.
Die Revision ist jedoch begründet.
1.
Die amtsgerichtliche Verfahrensweise ist rechtsfehlerhaft, verletzt den Angeklagten in seinem Recht auf wirksame Verteidigung (Art. 6 Abs. 3 c MRK) und verstößt gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens. Denn durch die Ablehnung der begehrten Terminsverlegung ist dem Angeklagten das Recht genommen worden, sich in der Hauptverhandlung von dem zu diesem Zeitpunkt verhinderten Rechtsanwalt A. als Anwalt seines Vertrauens verteidigen zu lassen.
a.
Wenn auch Angeklagter und Verteidiger auf eine Verlegung des Termins grundsätzlich keinen Anspruch haben, so muss der Vorsitzende doch bei der Entscheidung über den Verlegungsantrag im Rahmen pflichtgemäßen Ermessens die Interessen der Beteiligten und das Gebot der Verfahrensbeschleunigung gegeneinander abwägen (vgl. BGH, NJW 1992, 849; Meyer-Goßner, StPO, 46. Aufl., § 213 Rdn. 7). Die vom Amtsgericht vorgenommene Abwägung berücksichtigt indes nicht hinreichend, dass sich ein Angeklagter gem. § 137 Abs. 1 S. 1 StPO in jeder Lage des Verfahrens des Beistands eines Verteidigers bedienen darf und der auch darin zum Ausdruck kommende - im Übrigen als Ausfluss des Rechtsstaatsprinzips (vgl. BVerfGE 26, 66, 71) verfassungsmäßig verbürgte - Anspruch auf ein rechtsstaatlich faires Verfahren das Recht umfasst, sich von einem Rechtsanwalt seines Vertrauens verteidigen zu lassen (vgl. BGH, NJW 1992, 849; Meyer-Goßner, StPO 46. Aufl. § 137 Rdn. 2 m. zahlr. Nachw. aus der Rechtspr. des BVerfG).
b.
Der die Entscheidung mittragende Hinweis, es läge kein Fall notwendiger Verteidigung vor, ist rechtlich irrelevant, weil das zuvor genannte Recht vom Vorliegen der Voraussetzungen des § 140 StPO unabhängig ist. Die vom Amtsgericht - in anderer Intention - angesprochene Notwendigkeit, durch die Vernehmung von zwei Zeugen zu klären, ob der Angeklagte seine Ehefrau mißhandelt hat oder von dieser zu Unrecht beschuldigt wird, lässt die Sache aus dessen Sicht nachvollziehbar schwierig erscheinen und rechtfertigt seine Sorge, die eigenen Interessen ohne rechtsanwaltlichen Beistand nicht ausreichend vertreten zu können; dies gilt insbesondere auch im Hinblick auf die gegenüber seiner als Nebenklägerin anwaltlich unterstützten Ehefrau sonst fehlende "Waffengleichheit". Vor diesem Hintergrund war es ihm grundsätzlich nicht zumutbar, sich in der Hauptverhandlung allein zu verteidigen (vgl. OLG Frankfurt, StV 1998, 13-14).
c.
Die Geschäftslage des erkennenden Richters mag zwar besorgniserregend sein, Umstände dieser Art können jedoch Abweichungen vom Grundsatz des fairen Verfahrens schon unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten nicht rechtfertigen. Im Übrigen ist auch nicht ersichtlich, dass sich das Amtsgericht ernsthaft bemüht hat, die Terminskollision zu überwinden (vgl. BGH, NStZ 1999, 527; NStZ 1992, 247-248; OLG Frankfurt, StV 1995, 9-10; Landgericht Braunschweig, StV 1997, 403-404).
2.
Auf diesem Verfahrensfehler kann das Urteil auch beruhen ( § 337 Abs. 1 StPO). Es kann nicht ausgeschlossen werden, d...