Entscheidungsstichwort (Thema)
Aussetzung eines Entschädigungsverfahrens i.S.d. § 198 GVG in analoger Anwendung des § 148 Abs. 1 ZPO
Leitsatz (amtlich)
1. Erhebliche über die bloße Prozesswirtschaftlichkeit hinausreichende Wertungsgesichtspunkte können im Einzelfall in entsprechender Anwendung des § 148 Abs. 1 ZPO die Aussetzung eines beim Oberlandesgericht anhängigen erstinstanzlichen Entschädigungsverfahrens i.S.d. § 198 GVG rechtfertigen.
2. Eine im pflichtgemäßen Ermessen zu treffende Aussetzungsentscheidung kann geboten sein, wenn das Gericht andernfalls dazu angehalten wäre, "sehenden Auges" das Verfahren eines Klägers zu einem identischen Verfahrenskomplex mit identischen Rechtsfragen zeitlich vor einer erwartungsgemäß absehbaren höchstrichterlichen Klärung jener Rechtsfragen, die sich entscheidungserheblich gleichermaßen im auszusetzenden Verfahren wie auch in dem in Bezug genommenen Revisionsverfahren des identischen Klägers stellen, kurzsichtig in der Vorinstanz zu zementieren. Auf diese Weise beraubte sich das Gericht selbst der Möglichkeit - im redlichen Bemühen um die ihm anvertraute Herstellung des Rechtsfriedens und im Respekt vor einer höchstrichterlichen Klärung - die Einheitlichkeit der Rechtsprechung zu gewährleisten. Die Aussetzungsentscheidung dient deshalb auch aus Gründen der Gewährung effektiven Rechtsschutzes letztlich dem wohlverstandenen eigenen Interesse der Parteien.
Normenkette
GVG §§ 198, 201; ZPO § 148
Tenor
Das Verfahren wird bis zur rechtskräftigen Entscheidung der Rechtsstreite in den Entschädigungsverfahren zu den Aktenzeichen 4 EK 23/20 und 4 EK 1/20 ausgesetzt.
Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Gründe
I. Mit der vorliegenden Entschädigungsklage macht der Kläger Entschädigungsansprüche nach §§ 198 ff. GVG betreffend zehn beendete Rechtsstreite geltend, die beim Landgericht Göttingen anhängig waren.
Mit Beschluss vom 14. Dezember 2020 hat der Senat zu dem Aktenzeichen 4 EK 18/20 das Verfahren betreffend die im Wege der Klagehäufung (§ 260 ZPO) geltend gemachten Ansprüche hinsichtlich zehn Ausgangsverfahren des Landgerichts Göttingen zu den Aktenzeichen 2 O 780/10, 2 O 430/10, 2 O 482/10, 2 O 556/10, 2 O 650/10, 2 O 686/10, 2 O 764/10, 2 O 586/10, 14 (2) O 787/10 und 14 (2) O 873/10 abgetrennt. Dieser abgetrennte Verfahrensteil ist Gegenstand der vorliegenden Entschädigungsklage. Nach Auswertung der vom Senat entsprechend beigezogenen Akten sind diese Ausgangsverfahren sämtlich - übereinstimmend zum Senatsbeschluss vom 14. Dezember 2020 zum Aktenzeichen 4 EK 18/20 (vgl. dort unter IV.) - beendet.
Einschließlich des gegenständlichen Entschädigungsverfahrens waren zum Jahresbeginn 2021 insgesamt 18 Entschädigungsklagen im Senat anhängig, in denen der Kläger jeweils Entschädigung wegen überlanger Verfahrensdauer nach § 198 GVG verlangt. In sämtlichen - den jeweiligen Entschädigungsklagen zugrundeliegenden - Ausgangsverfahren beim Landgericht Göttingen wurde bzw. wird der Kläger - teilweise (gesamtschuldnerisch) neben anderen Verantwortlichen - in seiner Eigenschaft als Verantwortlicher ("Konzeptant") von Beteiligungsmodellen der G. Gruppe in Anspruch genommen.
Beim Landgericht Göttingen sind hierzu seit 2006 bis 2008 bzw. seit 2010/2011 insgesamt mehr als 4.000 Kapitalanlage-Verfahren im Zusammenhang mit dem Unternehmensverbund "G. Gruppe" anhängig gemacht worden, die anfangs zunächst allein von der 2. Zivilkammer bearbeitet wurden. Ab dem Jahr 2011 übertrug das Präsidium des Landgerichts Göttingen die Hälfte der anhängigen Verfahren aus diesem Komplex auf die 14. Zivilkammer. Beide Kammern bestimmten aus zwei "Serien" - der sogenannten "Hauptserie" mit insgesamt über 4.000 Verfahren einerseits und der sogenannten kleinen "L.-Serie" mit insgesamt ca. 280 Verfahren andererseits - jeweils ein Muster- bzw. Pilot-Verfahren, die vorrangig - unter Durchführung von Beweisaufnahmen - gefördert werden sollten. Die hiervon abhängigen weiteren Verfahren wurden ausschließlich zum Zwecke der gemeinsamen Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens zu den jeweiligen Kammer-Pilotverfahren der 2. und 14. Zivilkammer kammerintern miteinander verbunden. Die 2. und die 14. Zivilkammer gingen hierbei abgestimmt einheitlich in der Weise vor, dass für die jeweiligen Pilotverfahren der Hauptserie einerseits und der Langenbahn-Serie andererseits nur ein - für alle Verfahren der jeweiligen Kammer einheitliches - schriftliches Gutachten desselben Sachverständigen eingeholt wurde. Die 14. Zivilkammer bestimmte als Pilotverfahren der Hauptserie das Verfahren zum Aktenzeichen 14 (2) O 2179/07 und als Pilotverfahren der L.-Serie das Verfahren zum Aktenzeichen 14 (2) O 1135/11. Die 2. Zivilkammer bestimmte als Pilotverfahren der Hauptserie das Verfahren zum Aktenzeichen 2 O 1802/07 und als Pilotverfahren der L.-Serie das Ausgangsverfahren zum Aktenzeichen 2 O 1136/11.
In sämtlichen zum Jahresbeginn 2021 im Senat anhängigen 18 Entschädigungsverfahren macht der Kläger jeweils Entschädigungsansprüche - ...