Leitsatz (amtlich)
Aus der Sicht eines Ablehnenden kann es als Voreingenommenheit des abgelehnten Sachverständigen verstanden werden, wenn dieser auf die Bitte des Gerichts um eine ergänzende Stellungnahme mitteilt, dass er dafür erneut die Akte studieren müsse, er aber bereits wisse, dass sich "mit hoher Wahrscheinlichkeit" keine neuen Erkenntnisse ergeben werden.
Normenkette
ZPO § 42
Verfahrensgang
LG Braunschweig (Beschluss vom 29.07.2020; Aktenzeichen 7 O 1613/17) |
Tenor
Auf die sofortige Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Landgerichts Braunschweig vom 29.07.2020 abgeändert und das Ablehnungsgesuch des Klägers gegen den Sachverständigen Dr. med. H. für begründet erklärt.
Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf eine Wertstufe bis 65.000,- EUR festgesetzt.
Gründe
I. Der Kläger wendet sich mit seiner sofortigen Beschwerde gegen die Zurückweisung seines gegen einen medizinischen Gerichtssachverständigen gerichteten Ablehnungsantrags durch das Landgericht Braunschweig.
Die Parteien streiten um Leistungen aus einer Berufsunfähigkeitsversicherung.
Mit Beweisbeschluss vom 07.08.2018 (Bl. 168 ff. d.A.) hat das Landgericht die Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens zu der Behauptung des Klägers angeordnet, er sei seit dem 24.06.2013, spätestens jedoch seit August 2016 infolge einer depressiven Erkrankung außer Stande, den zuletzt ausgeübten Beruf zu einem Leistungsanteil von mehr als 50 % auszuüben. Dem Sachverständigen wurde aufgegeben, seinem Gutachten zunächst nur die von dem Kläger behauptete - im Einzelnen aber bestrittene - bisherige Tätigkeitsbeschreibung zugrunde zu legen. Zum Sachverständigen wurde Herr Dr. L. H. bestellt.
Der Sachverständige hat mit Schreiben vom 11.09.2018 gegenüber dem Landgericht Braunschweig mitgeteilt, dass eine neuropsychologische Zusatzbegutachtung zur Beschwerdevalidierung erforderlich sei, um ausreichend belastbare Befunde zu erheben. Er hat insoweit eine Begutachtung durch Herrn PD Dr. B., H.. angeregt (Bl. 180 d.A). Das Landgericht Braunschweig hat daraufhin mit Beschluss vom 19.10.2018 den genannten Sachverständigen mit der Erstellung eines neuropsychologischen Zusatzgutachtens beauftragt (vgl. Bl. 183 d.A.).
Der Sachverständige Dr. B. hat unter dem 28.01.2019 sein Zusatzgutachten (vgl. Gutachtenband) erstattet. Dieses wurde dem Sachverständigen Dr. H., versehentlich jedoch nicht den Parteivertretern zur Verfügung gestellt. Unter dem 27.06.2019 hat der Sachverständige Dr. H. sein Gutachten erstattet (vgl. Gutachtenband).
Mit Verfügung vom 09.07.2019 (Bl. 198 d.A.) wurde das Gutachten des Sachverständigen Dr. H. an die Parteivertreter zur Stellungnahme bis zum 06.08.2019 übersandt. Nachdem der Klägervertreter das Gericht - zunächst mehrfach erfolglos - um die Übersendung des Zusatzgutachtens des Sachverständigen Dr. B. gebeten hatte, wurde die Stellungnahmefrist zuletzt bis zum 31.01.2020 verlängert.
Der Kläger hat am 30.09.2019 den Sachverständigen Dr. H. wegen der Besorgnis der Befangenheit abgelehnt. Zu den Einzelheiten der genannten Ablehnungsgründe wird verwiesen auf den Schriftsatz des Klägervertreters vom 30.09.2019 (Bl. 214 ff. d.A.).
Nachdem zunächst versehentlich der Sachverständige Dr. B. um Stellungnahme zu dem Ablehnungsgesuch gebeten wurde, erhielt der Sachverständigen Dr. H. das Ablehnungsgesuch des Klägers erst mit Verfügung vom 18.03.2020. Ihm wurde Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum 04.05.2020 eingeräumt.
Der Sachverständige Dr. H. hat am 22.06.2020 gegenüber dem Landgericht mitgeteilt, dass er infolge der Corona-Pandemie bisher zu einer Stellungnahme nicht in der Lage gewesen sei. Weiter hat er ausgeführt, dass "eine konkrete Stellungnahme zu den umfangreichen Vorwürfen [ ] ein erneutes Aktenstudium erfordern und mit hoher Wahrscheinlichkeit zu keinen neuen Erkenntnissen" führen würde. Zu näheren Einzelheiten wird verwiesen auf das Schreiben des Sachverständigen Dr. H. vom 22.06.2020 (Bl. 299 d.A.).
Der Kläger hat mit Schriftsatz vom 09.07.2020 dieses Schreiben zum Anlass genommen, erneut Ausführungen zur Befangenheit des Sachverständigen zu machen. Danach lasse das Schreiben des Sachverständigen Dr. H. erkennen, dass dieser nicht gewillt sei, sich weiter mit den für den Kläger existenziellen Fragen auseinanderzusetzen. Die Darlegung eines antizipierten Ergebnisses habe deutlich seine Voreingenommenheit gezeigt. Zu weiteren Einzelheiten dieser Stellungnahme wird verwiesen auf den Schriftsatz des Klägervertreters vom 09.07.2020 (Bl. 301 f. d.A.).
Das Landgericht Braunschweig hat den Ablehnungsantrag des Klägers mit Beschluss vom 29.07.2020 (Bl. 303 ff. d.A.) als unbegründet zurückgewiesen. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf den Beschluss Bezug genommen.
Der Beschluss ist dem Klägervertreter am 05.08.2020 zugestellt worden. Er hat mit Schriftsatz vom 07.08.2020 sofortige Beschwerde eingelegt. Das Landgericht habe es insbesondere unterlassen, sich mit dem von ihm im Schriftsatz vom 09....