Entscheidungsstichwort (Thema)
Strafverfahren: Akteneinsicht durch einen im Insolvenzverfahren bestellten Sachverständigen
Leitsatz (amtlich)
1. Der im Insolenzverfahren bestellte Sachverständige ist zu einer umfassenden Einsicht in die über den Insolvenzschuldner geführten Strafakten berechtigt, wenn sich daraus Hinweise dazu ergeben können, ob mit der Geltendmachung von Ansprüchen gegen den Insolvenzschuldner zu rechnen und mit welcher Wahrscheinlichkeit von einer Durchsetzung behaupteter Ansprüche Dritter auszugehen ist.
2. Weil der gerichtlich bestellte Sachverständige im Insolvenzverfahren gem. § 203 Abs. 2 Nr. 5 StGB zur Verschwiegenheit verpflichtet ist, gilt dies auch für aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes ansonsten Dritten nicht zugänglichen Aktenbestandteilen.
Normenkette
StGB § 203 Abs. 2 Nr. 5; StPO § 475 Abs. 1-2; InsO §§ 5, 22 Abs. 3, §§ 97-98
Verfahrensgang
LG Braunschweig (Entscheidung vom 25.01.2016; Aktenzeichen 6 KLs 56/14) |
Tenor
Die Beschwerde des Angeschuldigten gegen die Entscheidung des Vorsitzenden der 6. großen Strafkammer des Landgerichts Braunschweig vom 25. Januar 2016 wird auf seine Kosten als unbegründet verworfen.
Gründe
I.
Gegen den Angeschuldigten wurde vor der Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts Braunschweig Anklage wegen Betruges in 23 Fällen davon in 15 Fällen tateinheitlich mit Erpressung erhoben. Dabei soll er durch vorsätzliche falsche Angaben gegenüber dem Geschädigten R. von diesem verschiedene Einzelbeträge von mindestens 15.000 € bis maximal 400.000 €, insgesamt einen Betrag von 3.183.800 € erlangt und diese Beträge bislang nicht an den Geschädigten zurückgezahlt haben. Wegen der Einzelheiten der Tatvorwürfe wird auf die Anklageschrift vom 09. Juli 2014 (Bl. 6-12 Bd. III d.A.) verwiesen.
Durch Beschluss vom 16. September 2013 hat das Amtsgericht Braunschweig zur Sicherung zivilrechtlicher Ansprüche des R. einen dinglichen Arrest in Höhe von 2.888.800 € in das Vermögen des Angeschuldigten angeordnet. Wegen der Einzelheiten wird auf den Arrestbeschluss (SH VME Bl. 7ff.) verwiesen.
In einem Insolvenzeröffnungsverfahren über das Vermögen des hier Angeschuldigten wurde mit Beschluss des Amtsgerichts H. vom 07. Dezember 2015 (106 IN 118/15) Rechtsanwalt Dr. B. mit der Erstellung eines Gutachtens gemäß § 5 InsO beauftragt, um u.a. festzustellen ob ein Auslandsbezug vorliegt, insbesondere ein grenzüberschreitender Bezug im Sinne der EUInsVO gegeben ist, ob und gegebenenfalls welche Sicherungsmaßnahmen zu treffen sind, welche Verfahrensart einschlägig ist, insbesondere ob der Schuldner zurzeit der Stellung des vorliegenden Eröffnungsantrages eine selbständige wirtschaftliche Tätigkeit ausübte; verneinendenfalls ob und in welchem Zeitraum der Schuldner in der Vergangenheit eine selbständige wirtschaftliche Tätigkeit ausgeübt hat und ob seine Vermögensverhältnisse überschaubar sind, insbesondere wie viele Gläubiger er hat und ob gegen ihn Forderungen aus Arbeitsverhältnissen einschließlich solcher von Steuergläubigern oder Sozialversicherungsträgern bestehen, ob eine kostendeckende Masse vorhanden ist. Wegen der Einzelheiten wird auf den Beschluss des Amtsgerichts Hagen vom 07. Dezember 2015 (Bl. 189f. Bd. IV d.A.) verwiesen.
Unter Vorlage dieses Beschlusses meldete sich Rechtsanwalt Dr. B. sodann mit Schriftsatz vom 16.12.2015 im Strafverfahren und beantragte die Übersendung von Abschriften der Anklageschrift sowie des Arrestbeschlusses, um seine Aufgabe als Sachverständiger erfüllen zu können. Am 25. Januar 2016 verfügte der Vorsitzende die Übersendung des Akteneinsichtsgesuches an alle Verteidiger mit Gelegenheit zur Stellungnahme binnen einer Woche nach Zustellung seines Schreibens. In seinem Schreiben vom 25. Januar 2016 teilte der Vorsitzende mit, dass beabsichtigt sei, die beantragte Akteneinsicht durch Versendung von Ablichtungen der Anklageschrift und des Beschlusses zu gewähren. Der Vorsitzende stellte das berechtigte Interesse des Antragstellers im Sinne des §§ 475 StPO dar und nahm eine Abwägung mit den schutzwürdigen Interessen des Angeschuldigten vor. Wegen der Einzelheiten wird auf das Schreiben des Vorsitzenden vom 25. Januar 2016 (Bl. 202f. Bd. IV d.A.) Bezug genommen.
Mit Schriftsatz vom 05. Februar 2016 legte der Verteidiger H. des Angeschuldigten Beschwerde gegen die Entscheidung des Vorsitzenden vom 25. Januar 2016 ein. Er ist der Ansicht, dass dem Antragsteller allenfalls Auskünfte aus der Akte gemäß § 474 Abs. 1 StPO gegeben werden dürften; die Voraussetzungen für die Übersendung der Schriftstücke im Ganzen lägen nicht vor. Wegen der Einzelheiten wird auf die Beschwerdebegründung im Schriftsatz vom 05. Januar 2016 (Bl. 206-209 Bd. IV d. A.), die ergänzende Beschwerdebegründung im Schriftsatz vom 08. März 2016 (Bl. 218f. Bd. IV d.A.) sowie auf die Ausführungen im Widerspruch gegen die beantragte Akteneinsicht im Schriftsatz vom 21. Januar 2016 (Bl. 198-200 Bd. IV d. A.) Bezug genommen.
Der Vorsitzende half der Beschwerde mit Entscheidung vom 15. Februar 2...