Entscheidungsstichwort (Thema)
Anspruch auf Übersetzung des schriftlichen Urteils
Leitsatz (amtlich)
Hat ein der deutschen Sprache nicht mächtiger Angeklagter einen Verteidiger und wurde die mündliche Urteilsbegründung in seine Muttersprache übertragen, besteht kein Anspruch auf Übersetzung des schriftlichen Urteils.
Normenkette
GVG § 187; EMRK Art. 6 Abs. 3 Buchst. e
Verfahrensgang
LG Braunschweig (Entscheidung vom 22.03.2016; Aktenzeichen 9 Ks 8/15) |
Tenor
Die Beschwerde des Angeklagten gegen die Entscheidung der stellvertretenden Vorsitzenden der 9. großen Strafkammer des Landgerichts Braunschweig vom 22. März 2016 wird auf seine Kosten als unbegründet verworfen.
Gründe
I.
Der Angeklagte wurde durch die 9. große Strafkammer des Landgerichts Braunschweig am 19. Januar 2016 wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung in zwei rechtlich zusammentreffenden Fällen in Tateinheit mit Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte sowie wegen vorsätzlichen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr in Tateinheit mit versuchter gefährlicher Körperverletzung und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 2 Jahren und 6 Monaten verurteilt. Wegen der Einzelheiten der Urteilsbegründung wird auf das Urteil vom 19. Januar 2016 verwiesen (Bl. 1-25 d.A.). Der Angeklagte wurde in dem Verfahren durch einen beigeordneten Verteidiger verteidigt und war bei der Erörterung der mündlichen Urteilsgründe anwesend. Diese wurde dem Angeklagten durch eine Dolmetscherin übersetzt. Das Urteil ist beiden Verteidigern des Angeklagten zugestellt worden.
Der Angeklagte hat form- und fristgerecht Revision gegen das Urteil eingelegt, die durch Schriftsatz seines Verteidigers vom 17. März 2016 begründet worden ist. Er hat die Übersetzung der schriftlichen Urteilsgründe in die polnische Sprache beantragt.
Durch Beschluss vom 22. März 2016 hat die stellvertretende Vorsitzende der 9. großen Strafkammer des Landgerichts Braunschweig den Antrag des Angeklagten auf Übersetzung der schriftlichen Urteilsgründe zurückgewiesen.
Mit Schriftsatz vom 28. März 2016 hat der Verteidiger des Angeklagten Beschwerde gegen die Entscheidung vom 22. März 2016 eingelegt. Er ist der Ansicht, erst durch das Lesen des Urteils in der eigenen Sprache würde der Angeklagte in die Lage versetzt, zu entscheiden, ob ihn die Urteilsgründe überzeugten. Insbesondere sei das Beisein bei der Erörterung der mündlichen Urteilsgründe unbeachtlich, da diese regelmäßig von den schriftlichen Urteilsgründen hinsichtlich des Umfangs und des Inhalts deutlich abwichen und darüber hinaus "emotionale Seitenhiebe" und "unzulässige Wertungen" enthielten. So sei es auch in diesem Verfahren gewesen.
Der Vorsitzende hat der Beschwerde mit Entscheidung vom 29. März 2016 nicht abgeholfen und hat sie dem Senat zur Entscheidung vorgelegt.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Beschwerde des Angeklagten als unbegründet zu verwerfen.
II.
Die nach § 304 Abs. 1 StPO zulässige Beschwerde des Angeklagten hat in der Sache keinen Erfolg. Der Angeklagte hat keinen Anspruch auf Übersetzung des schriftlichen Urteils in die polnische Sprache.
Zwar sieht § 187 Abs. 2 Satz 1 GVG zur Ausübung der prozessualen Rechte des Beschuldigten in der Regel die Übersetzung von nicht rechtskräftigen Urteilen vor, es liegen jedoch die Voraussetzungen der in § 187 Abs. 2 Satz 4 und 5 GVG vorgesehenen Ausnahmen vor.
Nach § 187 Abs. 2 Satz 4 GVG kann an die Stelle der schriftlichen Übersetzung eine mündliche Übersetzung oder eine mündliche Zusammenfassung des Inhalts treten, wenn die prozessualen Rechte des Beschuldigten gewahrt werden. Das ist gemäß § 187 Abs. 2 Satz 5 GVG in der Regel anzunehmen, wenn der Beschuldigte einen Verteidiger hat.
Die prozessualen Rechte des Angeklagten, insbesondere auch der Anspruch auf ein faires Verfahren gemäß Art. 6 Abs. 3 Buchstabe e) EMRK, werden dadurch hinreichend gewahrt, dass dem verteidigten Angeklagten die mündliche Urteilsbegründung von einem Dolmetscher übersetzt worden ist (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 26. Januar 2016, 1 Ws 8/16, RN 3, zitiert nach juris; OLG Hamm, Beschluss vom 11. März 2014, 2 Ws 40/14, NStZ-RR 2014, 217; OLG Stuttgart, Beschluss vom 09.01.2014, 6 - 2 StE 2/12, StV 2014, 536 f.). Ob die schriftliche Übersetzung auch dann entbehrlich ist, wenn der Betroffene und sein Verteidiger bei der Urteilsverkündung anwesend gewesen sind, dem nicht ausreichend sprachkundigen Angeklagten die Urteilsgründe jedoch nicht durch einen Dolmetscher übersetzt worden sind, kann im vorliegenden Fall dahinstehen (so OLG Celle, Beschluss vom 22.07.2015, 1 Ss (OWi) 118/15, NStZ, 2015, 720).
Nach dem Willen des Gesetzgebers soll keine Verpflichtung zur schriftlichen Urteilsübersetzung bestehen, wenn eine effektive Verteidigung des nicht ausreichend sprachkundigen Angeklagten dadurch ausreichend gewährleistet wird, dass der von Gesetzes wegen für die Revisionsbegründung zuständige Rechtsanwalt das schriftliche Urteil kennt (vgl. BT-Drucksache 17/12578, S. 12). Die Rechte des...